PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH
: Abnahmi erst nach Weihnachten

Die Menschen in Indonesien drücken nach der Flut ihren Schmerz in Gelächter aus. Bereit für einen Tsunami-Witz?

Wie man sich bettet, so schläft man. Und wie man sich setzt, so schreibt man. Der bislang merkwürdigste Ort, an dem ich mich niedersetzte, um einen Artikel zu schreiben, war jener zu dieser Kolumne. Sie wurde auf einem Sarg verfertigt.

Ein Sarg aus rohen Brettern, einsneunzig auf fünfzig Zentimeter, und der Name des letzten Toten, der in ihm gelegen hatte, war mit schwarzem Filzschreiber an die Seite geschrieben: Sanushi. Ich saß bequem, vielleicht ein wenig zu tief, doch bevor ich mich etwas zögerlich setzte, versicherte ich mich bei einem in der Nähe stehenden indonesischen Soldaten, ob der Sarg auch wirklich leer sei. „Please sit down“, sagte der Unteroffizier und lachte. Später brachte er sogar einen Becher Nescafé vorbei.

Es gibt am Flughafen von Medan in Indonesien zurzeit keine Stühle oder Bänke mehr, auf denen man Platz nehmen könnte. Und weil das indonesische Militär es den Hilfsorganisationen aus aller Welt etwas bequemer machen will, haben Soldaten eben ein paar Särge aus einem Schuppen geholt, damit man nicht auf der Erde sitzen muss. Man muss praktisch denken in so schweren Zeiten.

Bevor jenes mir unbekannte und bedauernswerte Flutopfer mit Namen Sanushi in diesem Sarg lag, erzählte der Unteroffizier, habe ein Soldat darin gelegen, den die Rebellen in Aceh erschossen haben. Als er mein erschrockenes Gesicht sah, lachte er. Es wird überhaupt viel gelacht in Indonesien. In einem Kinofilm, fragt nicht, welcher, in dessen Anfangsszene auf einer Treppe einem Mann in den Kopf geschossen wurde und sein Gehirn daraufhin in Großaufnahme über die Leinwand spritzte, lachten einige Zuschauer laut auf. Das hat mich damals geärgert und verstört. Heute kann ich auch schon an manchen Stellen mitlachen, wenn das Grauen überhand nimmt. Wahrscheinlich funktioniert dieses Entlastungslachen wie die kleine Düse an meiner Espressomaschine: Wenn der Druck zu groß wird, entweicht Wasserdampf.

Ich fragte den Soldaten, ob ich heute Nacht vielleicht auch in diesem Sarg schlafen könne. Es schien, als habe dieser Scherz ihm sehr gefallen. Er lachte fast eine Minute lang. Als die Zahl der Flutopfer die Einhunderttausendergrenze überschritten hatte, erfand ich einen Witz: „Sagt einer: ‚Hast’ schon gehört, Tsunami an Weihnachten.‘ Sagt der andere: ‚Geht mir auch immer so. Aber nach Silvester nehm ich dann wieder ab.“ O. k., er ist nicht besonders, aber ich glaube, könnte man ihn auf Indonesisch übersetzen, hier würde sehr darüber gelacht werden.

Als wir vor einigen Tagen mit einem kleinen Flugzeug nach Meulaboh flogen und der Pilot eine Runde drehte über dieser zu rund siebzig Prozent von den Wellen weggespülten Stadt, lachte einer der einheimischen Passagiere sich halb kaputt. Es gibt Kulturen, die drücken ihren Schmerz in Gelächter aus.

Später sah ich auf einer Wiese in Meulaboh viele Kinder, die einen Riesenspaß hatten, wenn wieder einer dieser großen amerikanischen Chinoock-Hubschrauber startete oder landete. Jedes von ihnen hatte vor ein paar Tagen Bruder, Schwester, Vater, Mutter, Tante oder Onkel verloren und nun ließen sie sich vom Wind der Rotorenblätter ins Gras werfen und lachten dabei wie verrückt.

Zurück zu den Sitzgelegenheiten: Auf einem Sarg zu schreiben hat auch etwas Geselliges. Bis zu fünf Personen passen gut nebeneinander. Und – drei Särge in U-Form gestellt – bis zum Nachmittag hatten schon ein Dutzend Sargsitzer darauf Platz genommen. Jemand hatte einen Campingtisch besorgt für die Nescafé- und Aschenbecher. Einer, der schon im Krisengebiet gewesen war, erzählte den Neuankömmlingen, wie eine Wasserleiche aussieht und wie es dort nach Verwesung riecht. Danach war nur kurz Stille. Dann fragte einer der Soldaten, ob Italien oder Deutschland besser Fußball spielt. Ich hätte auch das Gegenteil behaupten können, sie hätten sich auch darüber halb tot gelacht.

Fragen zu Sanushi? kolumne@taz.de Montag: Matthias Urbachs PERFEKTER KAUF