Köhler geht auf Nummer sicher

JUBILÄUM In seiner Rede zum 60-jährigen Bestehen der Bundesrepublik setzt der Präsident auf Konsens – und sendet Signale für die Wiederwahl. Von den Provokationen des Anfangs bleibt nur das religiöse Bekenntnis

Vier Mal beschwört Köhler die soziale Marktwirtschaft, drei Mal den Stolz der Deutschen auf ihre eigenen Leistungen

AUS BERLIN RALPH BOLLMANN

Der Präsident beendete seine erste Amtszeit am Freitag so, wie er sie vor fünf Jahren begonnen hatte. „Gott segne unser Land“, sagte er zum Abschluss seiner letzten Rede, bevor er morgen in der Bundesversammlung zur Wiederwahl antritt. Die Formel, die im vorab verbreiteten Manuskript nicht enthalten war, hatte er schon in seiner Dankesrede unmittelbar nach seiner ersten Wahl 2004 benutzt – und damit eine Kontroverse ausgelöst. „Das nationale Bekenntnis an den lieben Gott zu adressieren ist mir peinlich“, sagte damals die frühere FDP-Präsidentschaftskandidatin Hildegard Hamm-Brücher.

Die religiöse Beschwörung war allerdings das einzig Kontroverse an der Rede, die Köhler am Freitag im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt zum 60-jährigen Geburtstag der Bundesrepublik hielt. Ansonsten war sein Vortrag von dem Bemühen getragen, kurz vor der Wahl nichts zu riskieren und bei niemandem anzuecken.

Hinweise für die Wahlmänner und -frauen der Bundesversammlung ließen sich nur zwischen den Zeilen entnehmen. Als Wink an die Grünen mochte man verstehen, dass er sie als einzige Partei ausdrücklich erwähnte: „Wo die Gründer-Parteien wichtige Themen übersahen – die Rechte der Frauen etwa oder den Umweltschutz –, da meldeten sich neue Kräfte zu Wort.“

Vier Mal beschwor Köhler ausdrücklich die „soziale Marktwirtschaft“ alten Stils, für deren Überwindung er doch von FDP-Chef Guido Westerwelle vor fünf Jahren installiert worden war. Drei Mal forderte er die Deutschen dazu auf, „stolz“ zu sein – allerdings nicht auf die Nation, sondern auf spezifische Leistungen. Mehrfach verwies er auf den guten Ruf, den die Bundesrepublik international genieße.

Als wichtige Errungenschaft der vergangenen 60 Jahre bezeichnete Köhler die Erkenntnis, „dass die Rohstoffe unseres Planeten begrenzt sind, dass Wachstum einen Preis hat und dass kein Land der Welt sein Glück ohne die anderen machen kann“. Die Deutschen seien „Bürger der Einen Welt“. Die „ökologische Industrielle Revolution“ nannte Köhler eine „Chance“ in der aktuellen Wirtschaftskrise.

Um Konsens bemüht war nicht nur Köhler in seiner Rede, die er in jenem leicht unbeholfenen Sprechduktus vortrug, der zu seiner Beliebtheit nicht unwesentlich beitragen hat. Auch der übrige Programmablauf war auf Gefälligkeit programmiert: Musik von Carl Maria von Weber, Johannes Brahms, Ludwig van Beethoven – und ein kurzer Film über die Geschichte der Bundesrepublik, sorgsam erarbeitet mit wissenschaftlicher Begleitung.

Den Rahmen bot jener Konzertsaal, den die DDR-Führung während der Achtzigerjahre als architektonisches Fantasieprodukt in die Kriegsruine des früheren Schauspielhauses implantieren ließ – und das seit der Wende, anders als der abgerissene Palast der Republik, auch das westdeutsche Repräsentationsbedürfnis befriedigt.

An diesem Sonntag soll ein Bürgerfest am Brandenburger Tor die Jubiläumsfeiern abschließen. Auch hier mit Beethoven und achtsam gepflegtem Proporz, aber ohne Politikerreden. Ursprüngliche Pläne, den Republikgeburtstag einer Eventagentur und privaten Sponsoren zu überantworten, waren am Widerstand der SPD und mangelnder Spendenbereitschaft der Wirtschaft gescheitert.

Wenn Daniel Barenboim gegen sieben Uhr abends die „Ode an die Freude“ dirigiert, wird Köhler jedenfalls wissen, ob er einstimmen kann: Bis dahin sollte auch ein möglicher dritter Wahlgang abgeschlossen sein. Selbst Linken-Chef Lothar Bisky wollte am Freitag nicht mehr ausschließen, dass Wahlmänner oder -frauen seiner Partei in einem späteren Wahlgang auch für Köhler stimmen könnten. „Das wird sich zeigen, es ist da eine Freiheit der Entscheidung“, sagte er.

Meinung + Diskussion SEITE 10