„Verheizte Alpen“

MACHER Sie kommen auf grünen Samtpfötchen, und trotzdem geht die touristische Verplanung weiter

■ Der Sozialwissenschaftler gründete 1977 mit Sylvia Hamberger die „Gesellschaft für ökologische Forschung“.

INTERVIEW THOMAS PAMPUCH

taz: Vor elf Jahren stellte Ihre Ausstellung „Schöne neue Alpen“ die Frage: „Sind die Alpen noch zu retten?“ Vor fünf Jahren wurde in Ihrer Ausstellung „Gletscher im Treibhaus“ der dramatische Gletscherschwund in den Alpen systematisch dokumentiert. Wie steht es heute um die Alpen?

Sylvia Hamberger: Welche Alpen? Es hängt davon ab, wie man auf die Alpen schaut. Schaut man mit dem rückwärtsgewandten Bild des Heimatverlustes oder mit dem „zupackenden“ Wirtschaftsraum-Blick oder mit dem touristischen Blick? Die Alpen mit ihren Gletschern – die verheizen wir gerade. Was wir mit den Alpen verbinden, das ist zumeist der Zauber der Alpen – und da sieht’s schlecht aus.

Ist das nicht auch der nostalgische Blick nach hinten?

Sylvia Hamberger: Nein, die Alpen verlieren gerade als „Faszinationsraum“, und wenn wir diese ästhetischen Verluste beobachten und beschreiben, dann hat das nichts mit Nostalgie zu tun.

Wolfgang Zängl: Die Alpen sind keine herausgelöste „heile Welt“ oder ein Naturschutzpark. Sie erleben sämtliche Auswirkungen der Globalisierung, der Urbanisierung wie alle anderen Bereiche der Welt auch. Darum verläuft in den Alpen der Prozess der am Profit orientierten Modernisierung à la McDonald und à la Mediamarkt genauso. Das ist ein großer Verlust, denn die Alpen haben etwas Einzigartiges.

Sind sie besonders schutzwürdig?

Sylvia Hamberger: Sie sind ökologisch besonders sensibel. Und sie sind besonderen Belastungen ausgesetzt: Zum Beispiel ist der Temperaturanstieg durch den Klimawandel hier doppelt so hoch wie in anderen Gebieten.

Wie sehen die politischen Möglichkeiten zum Schutz der Alpen aus?

Sylvia Hamberger: Die Alpenkonvention ist eine Möglichkeit, diese Fragen – völkerrechtlich verbindlich – zu verhandeln. Leider wird das wenig genutzt.

Wofgang Zängl: Ich würde den Prozess, der derzeit in den Alpen abläuft, als „negative Aufklärung“ bezeichnen. Das heißt, es ist eigentlich alles seit Jahrzehnten bekannt: Was passieren müsste, was schutzwürdig ist – und trotzdem geht die Zerstörung immer schneller vor sich. Und es werden immer größere Projekte implantiert.

Wäre es vernünftig, den Tourismus auf bestimmte Orte zu konzentrieren?

Wolfgang Zängl: Leider ist es so, das Ischgl und Sölden sehr stark abfärben. Das heißt, andere Orte nehmen das als Maßstab und eifern denen nach.

Wie müsste man vorgehen, um Tourismus, Erholung und Naturschutz zusammenzubringen?

Sylvia Hamberger: Ich denke, es gibt recht gute und positive Modelle, wie man es anders machen kann. Da werden das „Authentische“, also das Alte, das Gewachsene, aber auch neue, gute Architektur und Gastronomie höher bewertet als die schnelle Sensation. Was ich allerdings im Moment befürchte, ist, dass der „sanfte“ Tourismus dem harten Tourismus als Marktsegment noch beigegeben wird – im Doppelpack. Wir stellen fest, dass die „Macher“ uns inhaltlich und sprachlich überholen. Das sieht im ersten Moment wunderbar aus, und dann merkt man, dass es nur dazu dient, die Landschaft in Wert zu setzen. Eine Okkupation mit grünen Samtpfötchen.

■ Die Biologin hat 2004 mit Wolfgang Zängl den Fotoband „Gletscher im Treibhaus“ veröffentlicht.

Wolfgang Zängl: Diese „Macher“ in den Alpen haben kapiert, dass man das Angebot im Umweltbereich auch wahrnehmen kann und soll. Dann wird’s halt auch angeboten.

Was ist von der Aussage zu halten, dass die Winterolympiade 2018, um die sich München bewirbt, besonders nachhaltig sein könnte?

Wolfgang Zängl: Es sind Fehlinvestitionen in die Zukunft. Schon 1984 wurde von der Cipra und vom Bund Naturschutz überlegt, ob man die Winterspiele nicht an Orten stattfinden lässt, wo sie schon einmal waren, wo die moderne Infrastruktur schon da ist. So aber ziehen die olympischen Heuschrecken alle zwei Jahre zum nächsten Ort und zerstören den. Und das IOC verdient sich dabei dumm und dämlich.

Hat der Tourismus nicht auch Potenziale, Landschaften zu erhalten? Almen werden subventioniert, damit die Berliner – wenn sie schon auf den Berg gehen – auch mal eine Kuh sehen.

Wolfgang Zängl: Durch Zermatt wird zweimal am Tag eine Ziegenherde getrieben. Wenn Sie das meinen.

Sylvia Hamberger: Natürlich gibt es Möglichkeiten, aber es muss der Wille dafür vorhanden sein. Dieser Ausbau, diese Gigantomanie und dieser Aufholwettbewerb im Wintertourismus, das kann so nicht weitergehen. Viele Alpengemeinden sind pleite, weil die Investitionen in den Wintertourismus teuer sind. Was fehlt, ist Geld für den Sommertourismus. Und gerade das wäre eine nachhaltige Investition in die Zukunft. Am Mittelmeer wird es so heiß werden, dass die Leute irgendwann in die Alpen fahren.