Jüdische Zuwanderung nötig

Die jüdischen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen kritisieren die geplante Verschärfung der Zuwanderung von Juden aus Osteuropa – ohne diese würden viele Gemeinden nicht mehr bestehen

VON ANDREAS WYPUTTA

Die jüdischen Gemeinden im Ruhrgebiet wehren sich gegen die Verschärfung der Zuwanderungsbestimmungen von Juden aus Osteuropa. „Eine Verschärfung in der diskutierten Form ist absolut nicht hinzunehmen“, so der Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Michael Szentei-Heise, zur taz.

Im Zusammenhang mit dem neuen Zuwanderungsgesetz prüft Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) derzeit zusammen mit den Innenministern der Länder, ob der bisher weitgehend freie Zuzug von Juden aus Osteuropa eingegrenzt wird. Voraussetzung sollen künftig deutsche Sprachkenntnisse werden. Außerdem könnte eine Altersbeschränkung auf 45 Jahre eingeführt werden. Auch die Fähigkeit, auf dem deutschen Arbeitsmarkt schnell Fuß zu fassen, könnte ein Kriterium werden.

Für „absurd“ hält Szentei-Heise besonders die beiden letzten Kriterien. Wer eine Altersbeschränkung fordere, zerstöre auch Familien: „Kinder würden gezwungen, ihre Eltern zurückzulassen. Das ist unzumutbar“, klagt er. Auch ein Verzicht auf jegliche staatliche Unterstützung gilt als undenkbar. „Damit wird die Zuwanderung faktisch eingefroren“, sagt Chaim Guski von der Jüdischen Liberalen Vereinigung im Ruhrgebiet und Münsterland. „Gibt es wertvolle und weniger wertvolle jüdische Einwanderer?“, fragt er. „Ich würde das Wort Selektion ungern verwenden, aber es liegt mir auf der Zunge“, verweist Guski auf die besondere Verantwortung der Deutschen.

Besonders in der Kritik stehen Übergangsregelungen, die bis zu einer endgültigen Entscheidung der Innenminister im Sommer gelten sollen – rund 25.000 jüdische Zuwanderer, denen die Einreise bereits zugesagt wurde, dürfen noch nach Deutschland kommen. 25.000 weitere aber, die zum Teil seit Jahren auf eine Zusage warten, müssen „zurück in‘s Verfahren“, bestätigt Dagmar Pelzer vom Innenministerium. „Das ist eine besondere Härte“, sagt Irith Raub-Michelsohn, Vorstandsmitglied der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld – wer keine Zusage hat, muss mindestens bis zum Sommer warten.

Völlig unklar scheint derzeit, welche Entscheidung die Innenminister dann treffen. „Es ist alles völlig offen“, sagt Ministeriumssprecherin Pelzer. Allerdings solle jede Regelung nur im Konsens mit den jüdischen Gemeinden getroffen werden – auch Bundesinnenminister Otto Schily hatte nach erster Kritik betont, er handle nur in Übereinstimmung mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel. Spiegel, der auch Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinden im Landesverband Nordrhein ist, hatte noch am Wochenende klargestellt, er hoffe, niemals einen Einwanderungsstopp erleben zu müssen.

Innerhalb der jüdischen Gemeinden gilt die erfolgreiche Integration der Zuwanderer als großer Erfolg: „Derzeit gibt es 19 Gemeinden in NRW“, sagt Herbert Rubinstein, Geschäftsführer des Landesverbands Nordrhein. „Ohne Zuwanderung wären es noch vier oder fünf.“