Grillen vorm Supermarkt

Pop ist ein schlechter Ersatz: Die Ausstellung „Bitte lächeln, Aufnahme!“ zeigt Fotografien aus den neuen EU-Ländern

Der Beitritt der zehn neuen EU-Länder war ein Staatsakt, der am 1. Mai 2004 als großer Medienevent über die Bühne ging. Dass seit acht Monaten eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel „Kulturjahr der Zehn“ läuft, weiß aber vermutlich kaum jemand. Insofern ist die vom NBK im Martin-Gropius-Bau präsentierte Ausstellung „Bitte lächeln, Aufnahme!“ als dezenter Hinweis zu verstehen: Seht her, so sieht es aus im neuen Europa.

Viel Platz gibt es für dieses Anliegen trotzdem nicht. Die Arbeiten der zehn Fotografen hängen dicht gedrängt im Lichthof, die Informationen zu den ausgewählten Künstlern sind sparsam. Dabei gibt es nicht bloß auf der visuellen Ebene zwischen Bauernhof und Großstadt, sondern auch biografisch enorme Unterschiede: Der aus Zypern stammende Ioannis Yerou gehört zu einer Gruppe, die sich von der offiziellen Vereinigung der Amateurfotografen abgespalten hat; der Tscheche František Dostál hat seine absurd-komischen Aufnahmen im Stil eines Elliott Erwitt schon in den frühen Siebzigerjahren gemacht; der 1963 geborene Martin Kollár aus der Slowakei ist hauptberuflich Dokumentarfilmer, dessen Fotos oft bei Recherchen nebenher entstehen; und der Lette Andrejs Grants hatte bereits 1999 ein Stipendium der renommierten Hasselblad Foundation.

Tatsächlich ist dieser abrupte Wechsel von zufälligen Schnappschüssen zu detaillierten Reportagen ziemlich aufschlussreich für die disparate Situation innerhalb der Beitrittsländer. In Lettland stellt sich der Alltag auf den Bildern von Grants als Provisorium dar, wobei in den Dörfern kaum Symbole des ökonomischen Fortschritts angekommen sind. Bei Rimaldas Vikšraitis aus Litauen ist der Anschluss überhaupt noch nicht in den bäuerlichen Provinzen zu sehen – seine Bilderserie von Schlachtungen und betrunkenen Fressorgien haben den Charme einer in sich geschlossenen Welt, der die Lockungen der Modernisierung völlig fremd bleiben.

Imre Benkö aus Budapest wiederum zeigt mit schwarzweißen Panoramafotos, dass die Schwelle zwischen Ost und West sich nicht mit dem Mangel an Konsumzonen erklären lässt. Schon 1989 dokumentierte er Wohnungen mit zwei Fernsehgeräten, auf deren Bildschirmen das Logo von MTV aufblitzt. Eher scheint in Ungarn mit dem Sozialismus das Gefühl für die Rituale des Alltags verloren gegangen zu sein: In der Gießerei von Ozd spielt eine Blaskapelle vor leeren Tischen, auf dem Budapester Heldenplatz stehen bei einer Parade Frauen mit Luftballons Spalier und starren in die Ferne. Die Arbeiterkultur ist aus dem Leben verschwunden, der neu erlangte Pop ist dafür schlechter Ersatz.

Manchmal hilft auf halbem Weg zwischen den Systemen nur Sarkasmus weiter. Bei Kollár grillen die Leute ihre Würstchen direkt auf dem Parkplatz vor dem Tesco-Supermarkt, in Polen pflocken sie derweil Polski-Fiat-Wracks wie Kruzifixe am Straßenrand auf. Es ist ein seltsam überdrehter Alltagshumor, der im Martin-Gropius-Bau aus dem Osten herüberweht. Dass man darüber hierzulande lachen kann, zeigt einem auch, dass die Grenzen nicht mehr ganz so undurchlässig sind. HARALD FRICKE

Bis 14. 2., Martin-Gropius-Bau, Niederkirchner Straße 7; Katalog 9 Euro