Die Emigration über die Sahara nimmt zu

NIGER Behörden in den Wüstenregionen führen steigende Lebensmittelpreise auf die zunehmende Zahl von Migranten Richtung Libyen und Europa zurück

BERLIN taz | 80 Prozent der Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien wollen, reisen aus Libyen an, und 80 Prozent der Migranten, die über Libyen Richtung Europa reisen, sind aus dem südlichen Nachbarstaat Niger gekommen. Dort klagen die Behörden jetzt über ein starkes Anwachsen der Zahl dieser Transitreisenden, die Lebensmittel knapp und teuer machen und auch ansonsten für Ärger sorgen.

„Ich habe noch nie so viele Migranten gesehen wie jetzt“, zitiert der UN-Nachrichtendienst Irin den Gesundheitsdirektor für Nordniger in der Stadt Agadez, Mamadou Kollo. In Dirkou nahe der libyschen Grenze habe sich der Preis für Reis verfünffacht, Lebensmittel würden knapp. In Niger insgesamt hingegen war nach UN-Angaben Reis Anfang Mai nur 22,7 Prozent teurer als ein Jahr zuvor. Für Hirse und Mais waren die Steigerungen noch geringer.

Die Routen, auf denen Niger seine Lebensmittel aus dem südlichen Nachbarland Nigeria importiert, sind dieselben, über die auch Migranten einreisen. Verhindern lässt sich das nicht, denn innerhalb Westafrikas gilt Visafreiheit. Agadez, die größte Stadt im Norden Nigers tief in der Sahara-Wüste, ist Haupttransitpunkt für Menschen und Waren Richtung Norden. Ab hier ist Wegzoll fällig, um auf vollgepackten Lastwagen die mehrtägige Fahrt Richtung Libyen antreten zu dürfen. Allein im März wurden am Busbahnhof der Stadt 7.822 ausländische Reisende registriert.

Lokale Medien berichten über zunehmende Kontrollen und Schikanen durch die Polizei – und dass sich Sicherheitskräfte schmieren lassen, um Migranten ans Ziel zu bringen. Beliebt sind sie nicht: vor der Lebensmittelkrise wurden sie für die Ausbreitung von Meningitis verantwortlich gemacht.

Die Zunahme der Migrationsbewegungen auf dieser Route hat vor allem politische Gründe. Bis vor kurzem waren Agadez und der gesamte Norden Nigers Sperrgebiet, wegen der Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen des Tuareg-Volkes. Seit einigen Monaten aber gibt es einen Friedensprozess in Niger, die Straßen sind wieder offen. Gestern sagten die Rebellen grundsätzlich einem Waffenstillstand zu. Der Vermittler bei den Friedensgesprächen, der den Migranten das Leben erleichtert: Libyen. DOMINIC JOHNSON