„kleiner zersessener schatten“

EIGENARTIGE SCHWEBE Thomas Geigers Anthologie „Laute Verse“ versammelt 24 Autoren der Gegenwartslyrik und gewährt Einblicke in ihre Werkstatt

Seit einiger Zeit ist ein gesteigertes Interesse an Gegenwartslyrik zu beobachten. Dennoch bleibt ihre Breitenwirkung marginal, sagt Thomas Geiger, Programmverantwortlicher im Literarischen Colloquium Berlin und Redakteur der Zeitschrift Sprache im technischen Zeitalter.

„Laute Verse“ ist der programmatische Titel der Anthologie, mit der Geiger dieser Marginalisierung entgegenwirken möchte. Von Marcel Beyer bis Uljana Wolf, von Henning Ahrens bis Ulf Stolterfoht reicht die Liste der 24 Autoren, die mit einer Textauswahl vertreten sind. Aufschlussreich sind vor allem die kurzen poetologischen Selbstreflexionen und Werkstatteinblicke, die jeder Autor für eines seiner Gedichte verfasst hat. „hinter dem tresen gegenüber der tür / das eingerahmte foto der fußballmannschaft: / lächelnde helden, die sich die rostenden nägel / im rücken ihrer trikots nicht anmerken lassen.“ Dreißig Zeilen hat „gaststuben in der provinz“ von Jan Wanger anfangs gehabt, verdichtet blieben es vier, schreibt Wagner. Immer wieder faszinierend dabei das Zusammenspiel von fast durchweg sehr konkretem Anlass für ein Gedicht und der eigenartigen Schwebe, in der es am Ende bleiben muss. Bei Lutz Seiler ist es ein Hopper-Gemälde, das durch das „aufmerksam-zerstreute Hinschauen“ mit der brandenburgischen Landschaft verschwimmt, in die der Autor gerade zog: „es ist hier auch / nicht so weit / vom sofa bis zum zaun / wie in amerika. und abends / wenn das licht ausgeht / oben, in den bäumen / lehnt ein kleiner zersessener schatten am tor / und sagt: / hier draußen werde ich geliebt, verstehen sie, geliebt“. WIEBKE POROMBKA

■ Thomas Geiger: „Laute Verse“. dtv, München 2009, 360 S., 14,90 €