„Koalitionsdebatten sind überflüssig“

ROT-ROT-GRÜN Das 24-jährige Nachwuchstalent Arvid Bell über den Flügelstreit seiner Partei, die Fundamentalopposition der Linkspartei und die Visionen der Jugendlichen

■ Arvid Bell, 24, geboren in Bonn, Diplompolitikwissenschaftler, ist Mitglied des Parteirats der Grünen und Afghanistanexperte. Und Nachwuchstalent, das gerade von der Grünen-Parteiführung nach vorne geschoben wird. Foto: Stefan Pangritz

taz: Herr Bell, können Linksgrüne und Realos jetzt in der notwendigen Harmonie in den Wahlkampf ziehen?

Arvid Bell: Traurig, dass alles nur durch die grüne Flügelbrille gesehen wird.

Sie waren doch auch beim Linkenflügeltreffen, oder nicht? Die Flügel spielen immer noch eine entscheidende Rolle, wenn es um die Wurst geht – etwa um Koalitionsfragen.

Die meisten Grünen interessieren sich für den Flügelstreit ebenso wenig wie für überflüssige Koalitionsdebatten. Wir wollen jetzt wirklich über die Wirtschafts- und die Klimakrise reden. Das ist vielleicht etwas relevanter.

Aber interne Personal- und Flügelkonflikte beeinträchtigen stets die politische Problemlösungsfähigkeit der Grünen.

Demokratie ist eben manchmal schwierig.

Das war jetzt eine super Wahlkampfprofi-Antwort. Was hat man Ihnen denn dafür geboten, dass Sie Ihren Antrag für einen kleinen rot-rot-grünen Akzent im Wahlaufruf selbst zurückziehen?

Sehr witzig. Es gab eine klare Verständigung darüber, dass wir außer Jamaika keine Koalition ausschließen. Das heißt dann auch: Wir schließen Rot-Rot-Grün nicht aus. Nun bin ich immer noch der Meinung, dass wir gegenüber den beiden sozialdemokratischen Parteien mutiger sein und die gemeinsame Option deutlicher benennen sollten. Es kann ja nicht sein, dass SPD und Linkspartei mit Ausschließeritis beziehungsweise Fundamentalopposition ökologisch-soziale Reformen blockieren. Aber wenn das der Hauptstreitpunkt auf dem Parteitag in Berlin gewesen wäre, hätte die taz wieder geschrieben, die Grünen reden nur über sich selbst. Den Gefallen wollten wir Ihnen nicht tun.

Als die Grünen 1998 das letzte Mal in die Regierung kamen, waren Sie 14 Jahre alt. Wie fühlt es sich an, dass die Partei mit Jürgen Trittin und Renate Künast, also denselben Kandidaten für Ministerposten wie vor elf Jahren, an die Regierung wollen?

Mit Jürgen und Renate sind die beiden MinisterInnen, die unter Rot-Grün am meisten Erfolge einfahren konnten, wieder unsere SpitzenkandidatInnen. Atomausstieg, Agrarwende, Energiewende sind unsere Erfolge – in die Richtung muss es weitergehen.

Eine der wichtigsten Zielgruppen des Grünen-Wahlkampfs sind Erstwähler. Vor elf Jahren kamen die Grünen mit vielen gesellschaftspolitischen Themen an die Macht: Einwanderungspolitik, Homoehe und so weiter. Der Wahlkampfkurs jetzt ist auf Wirtschaftsthemen konzentriert – ist das kein Zustimmungskiller beim Nachwuchs?

Das glaube ich nicht, weil wir Wirtschaft und Umwelt als Zukunftsthemen begreifen. Die Krise geht an Jugendlichen nicht vorbei. Junge Menschen sind davon betroffen, wie ihre Perspektiven auf Ausbildungs- und Studienplätze sind. Sie wollen den Planeten noch ein paar Jahrzehnte länger erleben. Sie wollen nicht nur an Symptomen herumdoktern, sondern verlangen nach Visionen, wie wir die Gesellschaft grundlegend besser machen können. Das wollen wir Grünen auch. INTERVIEW: UWI