Satt + selig = glücklich?

Gespräch mit dem Bremer Philosophen Georg Mohr über Glücksvorstellungen, die unabhängig sind vom Festbraten

Buddha lächelt satt und selig. Kugelrund. Glücklich, so heißt es, fühle sich genau so an. Und steigere sich in überglückliche Seligkeit, wenn man auch noch ins buddhistisch-tantristische Nirvana hinaufgleitet, was in der rauschhaften Opulenz eines Orgasmus möglich wäre. Dabei steht Buddhas kugelrundes Lächeln nur für die erleuchtete Nichtung aller kugelrund machenden Verheißungen. Er empfahl mit einzigartiger gefühls-asketischen Radikalität, das Glück im Wegmeditieren jedweder Glücksempfindung zu finden.

Ist das nun fernöstlicher Kitsch? Sollten wir auf die Weihnachtsgans verzichten? Wo wohnt das Glück, wenn nicht im Magen oder Herzen? Wir fragten einen, der es wissen muss: den Philosophen Georg Mohr. Er behauptet, dass in der Geschichte des Denkens Einigkeit herrsche, dass die satte Seligkeit das wesentliche und natürliche Ziel des Lebens sei.

Wobei drei Aspekte dieses Glücksbegriffes auseinanderzuhalten wären: Glück verstanden als Gefühl des Wohlergehens oder als freudige Stimmung; Glück verstanden als begünstigenden Zufall oder das eigene Gelingen; Glück verstanden als Gegenstand oder Tätigkeit, als Glücksgefühlauslöser. Wobei eben dieser vom individuellen und ständig veränderbaren Wertekanon des Subjekts abhängt. Wenn Werder das 1:0 gegen Schalke schießt, muss man eben an die grün-weiße Ethik glauben, damit ein temporärer Schauer des Wohlempfindens durch den Körper jagt.

Wobei Mohr mit den Nützlichkeitsdenkern, den Utilitaristen, auch eine unterschiedliche Qualität im Glücksgefühl postuliert. Die selige Sattheit eines Frikadellen-Junkies, der gerade fünf Buletten verdrückt habe, sei wertloser und weniger beglückend als die Empfindung, Intelligenz, Bildung, Manieren und das eigene Urteilsvermögen genießen zu können. „Ein unzufriedener Sokrates ist besser als ein zufriedenes Schwein“, wie Mohr den englischen Denker John Stuart Mill zitiert.

Natürlich ist dieses Glück gefährdet, selbst wenn es sich zu einem grundsätzlichen auswächst – sollte man die Art und Weise seines Lebens bilanzieren und feststellen, dass einfach alles da ist, von dem man meint, es zu brauchen. Aber solange dieses satt&selig an äußere, zumeist materielle Güter gebunden sei, könne man es auch jederzeit wieder verlieren, gibt der Philosoph zu bedenken. Mohr: „Villa, Mercedes, Pferd, Yacht, Traumjob und -frau – darauf werden wir ja abgerichtet, bei der Verfügbarkeit über die Dinge Glück zu empfinden, für die wir Geld ausgeben müssen.“

Um sich davon unabhängig zu machen, hätten schon die griechischen Stoiker den Ort des Glücks in den Kopf verlegt. Anzustreben sei Autarkie, also Unabhängigkeit gegenüber den wohlfeilen Glücksangeboten, welche uns Werbeagenturen, Getränkemärkte, Feinkosthändler, Reisebüros und Religionen aufdrängen.

Das Glück der Stoiker sei daher die totale Selbstbestimmung: urteilen und leben ausschließlich aus der eigenen Vernunft heraus – in Übereinstimmung mit Natur = Kosmos = Gott.

Satt und selig könne nur der Eremit in seiner Apathie sein, also bei Ausschaltung aller Affekte, Leidenschaften und Lüste. Kein Speichelfluss beim Weihnachtsbraten, kein Jubel bei Werders 1:0, sexuelle Erregung adé. Aber, so Mohr, trotzdem dürfe gegessen, getrunken, geschlafen werden. Dieses sei lebenserhaltend, also vernünftig, also gut. Solange man solche Tätigkeiten nicht mit einem Eigenwert versehe. „Wenn mir alles egal ist außer meine Unabhängigkeit, dann bin ich glücklich“, definiert Mohr.

Ist das nicht die Lebenseinstellung eines arrogant grinsenden Zynikers der Moderne? Oder die eines satt&selig lächelnden Buddhisten?

Mohr: „Aus der Philosophie der Stoa entstand ja auch der Individualismus wider die untergehende Polis in Athen, genau so wie Seneca die zweite Stoa begründet, als das Römische Reich zerbricht. Genauso wie in unserem zerfallenden Wertesystem eine Renaissance der Innerlichkeitsanschauungen wahrzunehmen ist, sich jeder nur um sich kümmert und die Gesellschaft zum Teufel geht.“

Aber satt&selig mache das nicht. „Ein Mensch sei halt nie richtig glücklich“, sagt Mohr, „da Glück nur ein idealer Grenzwert vom guten und richtigen Leben darstellt, der nie erreicht wird.“ Der Weg ist das Ziel? „Nein, das Suchen ist das Ziel“, so Mohr. „Die Erfüllung welcher Anforderungen macht glücklich, die von außen an einen gestellt werden? Diese Frage gilt es immer wieder neu zu erkunden.“

So definiert Mohr die Autarkie neu als „Befreiung von den falschen Wünschen und Zielen“. Demnach sei Glück, „immer wieder neu zu entdecken, was satt und selig macht“. Und was beglückt Georg Mohrs Gaumen zu Weihnachten: „Ist mir egal“, sagt er – und lacht mit erleuchteter Ironie. fis