Das Schnarren des Eselskiefers

CYBER-FOLKLORE Anfangs war Novalima ein transkontinentales DJ-Projekt. Inzwischen ist es eine neunköpfige Band, die afroperuanisches Kulturerbe mit Club-Elektronik verlötet

Novalima sind Teil einer Bewegung, deren Selbstbewusstsein sich aus Traditionen Südamerikas speist

VON KNUT HENKEL

Eso!“, ruft ein Mann aus dem Publikum anerkennend und spendet spontan Beifall. Andere fallen ein, und so lässt der Tänzer den ohnehin schon schwierigen Tanzschritten noch waghalsigere folgen, wobei er die Hände rhythmisch auf die Oberschenkel klatschen lässt. Beifallsstürme sind dem schlaksigen Tänzer, der von einer Gitarre begleitet wird, sicher, denn in der Peña von Don Porfirio schätzt man echte Könner.

Peña, so heißen in Peru jene kleinen Clubs, in denen gegessen und getanzt wird, aber auch Gedichte zum Vortrag kommen. „Bei Don Porfirio geht es besonders authentisch zu“, meint Grimaldo del Solar. Der DJ und Musikproduzent aus Lima mit dem raspelkurz gemähten Haarkranz lässt sich in dem kleinen Club inspirieren. Sein Bandkollege Mangüe Vásquez hat ihn hierhergeschleppt. Dessen Großvater hat den angesagten Club in Limas Künstler- und Ausgehviertel Barranco vor etlichen Jahren ins Leben gerufen. Bis heute wissen die Gäste hier ein sattes Solo auf dem cajón, der Holzkiste, zu würdigen – genau so wie das markante Rasseln der quijada, des von wackligen Zähnen gesäumten Eselskiefers. Beide sind Markenzeichen der afroperuanischen Musik, die von den Nachfahren schwarzer Sklaven im südafrikanischen Andenstaat gepflegt wird.

Diese Klänge prägen auch den Sound von Novalima, das einmal als transkontinentales DJ-Projekt begann. „Ein purer Zufall“, lacht Grimaldo del Solar und reibt sich über die hohe Stirn. Der DJ lebte mehrere Jahre lang in Barcelona, und zunächst einmal war Novalima nicht mehr als ein privates Hobby, das ihn mit ein paar alten Schulfreunden aus Peru verband, deren Familien allesamt fest in Limas Kunstszene verankert sind. Bassist Carlos Li-Carrillo hatte es nach Hongkong verschlagen, den Gitarristen Rafael Morales nach London, nur Keyboarder Ramón Pérez hielt daheim in Lima die Stellung. So entstand das erste Album, laut Soundmaster Grimaldo eher „ein experimentelles Fusion-Album“, das in Peru allerdings ausgesprochen gut ankam.

Für den zweiten Streich luden sich Grimaldo, Li-Carrillo und Co. die Creme der schwarzen Musikszene Limas ins Studio, und langsam wuchs sich das Projekt der vier peruanischen Kosmopoliten zu einer richtigen, derzeit neunköpfigen Band aus. Deren Hauptquartier befindet sich in Lima, denn dahin kehrten die drei Weltenbummler inzwischen zurück, um tiefer in die Welt des souligen landó, des ausgelassenen festejo und der zamacueca einzutauchen.

Susana Baca, die Diva des schwarzen Peru, ist so etwas wie die geistige Schirmherrin des Projekts. Die charismatische Sängerin gilt als inoffizielle Botschafterin der afroperuanischen Kultur; nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern auch als Sängerin hat sie sich einen Namen gemacht. In ihrer Band spielten einst der Percussionist Juan „Cotito“ Medano und die Sängerin Milagros Guerrero, die heute zu den treibenden Kräften von Novalima gehören.

In Peru ist die Band heute eine große Nummer. Nicht nur weil sie die afroperuanische Tradition mit Dub, Salsa, Son und Electro Beats in die Zukunft führt, sondern auch weil sie Teil einer größeren Bewegung ist, deren Selbstbewusstsein sich aus südamerikanischen Traditionen speist. Ihr neues Album, „Coba Coba“, ist ein Manifest der Gleichberechtigung von Weiß und Schwarz. Beispielhaft ist das treibende „Libertá“, dessen Text einst für die Sängerin Chabuca Granda, eine Nationalheilige Perus, geschrieben wurde: Es ist ein klingendes Plädoyer für das Ende aller Vorurteile. Die sind zwar immer noch präsent, aber in den letzten Jahren haben viele Peruaner aufgehört, nur gen Norden zu schielen, und sich mehr und mehr auf das kulturelle Erbe ihrer indigenen wie schwarzen Bevölkerung besonnen. „Von den zehn meistverkauften CDs in Lima stammen heute acht von peruanischen Künstlern“, fasst Grimaldo das neue nationale Selbstwertgefühl in Zahlen.

Indem sie den spanischen Undergroundstar Gecko Turner oder das kubanische Hiphop-Duo Obsesión ins Studio laden, zeigen sich Novalima für alle Richtungen offen, und aus Trinidad leihen sie sich für „Yo Voy“ einen fetten Soca-Beat aus, um ihn mit dem Gesang von Salsero Carlos Uribe zu kreuzen. So wandeln sie auf den musikalischen Spuren der schwarzen Diaspora. Des Segens von Don Porfirio können sie sich dabei sicher sein. Der spielt ihr Album „Coba Coba“ auch schon mal in seiner Peña.