ORTSTERMIN: DIE FANTASTISCHEN VIER ERHALTEN DEN PAUL-LINCKE-RING
: Im Kurort knistert die Luft

Mit 40 Jahren im Kurhaus, das ist ja wie mit 20 in der zehnten Klasse – nur umgekehrt und irgendwie witziger

Glatt und stumm ruht der Kranichsee, auf der Terrasse des Ramada Hotels wird Kaffee getrunken und irgendwie ist wohl alles wie immer. Obwohl: ein Krankenwagen, ein Polizeiwagen, RTL, SAT1, wartende Menschen mit Fotoapparaten vor dem Kurhaus. In Hahnenklee knistert die Luft. Auch Oberbürgermeister Henning Binnewies hat seine schwere Bürgermeisterkette angelegt.

Alle zwei Jahre wird in dem kleinen Ort bei Goslar der Paul-Lincke-Ring verliehen – der Berliner Komponist hat die letzten Monate seines Lebens in Hahnenklee verbracht. 1983 bekam Ralph Siegel die Auszeichnung – ein Jahr zuvor hatte er für Nicole „Ein bisschen Frieden“ geschrieben, Deutschlands einziger Sieg beim Eurovision Song Contest. Es folgten Freddy Quinn, Rolf Zuckowski, Udo Lindenberg. Und jetzt die Fantastischen Vier.

Grinsend betreten sie das Kurhaus. Winke, winke, Thomas D hält mit seiner Kamera auf die Szenerie und Walt Kracht & his Orchestra schmettern „Lasst den Kopf nicht hängen“ von Paul Lincke. Die tröstenden Worte sind aber wohl nicht für Smudo, Thomas D, Michi Beck und And.Ypsilon gedacht. Deren Kopf ist gerade, die haben Spaß. Mit 40 Jahren im Kurhaus, das ist ja wie mit 20 in der zehnten Klasse – nur umgekehrt und irgendwie witziger. Thomas D kann Michi Beck gerade noch davon abhalten, sein Kaugummi unter den Kurhaus-Stuhl zu kleben.

Bürgermeister Henning Binnewies sagt, man wolle dem Andenken an Paul Lincke die Treue halten, und dass man dem Geist der Zeit begegne. „Die Fans sitzen ja alle hier“, sagt er. Man blickt auf die Stuhlreihen im Kurhaus und wartet darauf, dass der Bürgermeister grinst. Er bleibt aber ernst.

Ralf Niemczyk, Journalist und Biograf der Fantastischen Vier, hält die Laudatio. Mit 20 hatten die vier im Jugendhaus in Stuttgart-Heslach ihren ersten Liveauftritt. Es ist die Geschichte, wie der Hip-Hop nach Deutschland kam. Später grinsen sich Smudo und Ralf Niemczyk an und versichern sich, das sei ja ihre erste Laudatio gewesen.

Für die Dankesrede tritt Smudo ans Mikrofon und grüßt zuerst seine Schwiegermutter, die in der zweiten Reihe sitzt. „Ich fürchte, heute ist der Tag, da sind die Fantastischen Vier im Pop-Establishment angekommen“, sagt Smudo und lächelt. „Aber wir wären nicht hier, wenn wir das nicht cool finden würden.“ Dann packt er den Ring aus seiner Schatulle, zitiert „Herr der Ringe“ – „sie zu knechten“ – und trägt sich ins Goldene Buch der Stadt ein.

Die Fantastischen Vier sind nicht nur im Pop-Establishment angekommen, sondern auch im Schoß der Familie. Auf dem Fußweg zum Paul-Lincke-Platz, wo eine im Boden eingelassene Platte mit dem Namen der Band enthüllt wird, dackelt Thomas D am Ende der Gesellschaft hinterher, wundert sich kurz, dass er ein fremdes, fünfjähriges Kind an der Hand hält und erzählt dem Kleinen und seiner Mutter vom eigenen Nachwuchs.

Am Ende, als alle Autogramme auf Zettel und Informationsblätter gekritzelt sind, steigen die vier in Taxen und winken. Ein paar dunkle Wolken ziehen vorüber, irgendwo schreit eine Krähe und auf dem Vorplatz der Bäckerei Moock steht ein elektrischer Rollstuhl. Tim Meyer