taz-adventskalender (16): Hinrichtungskammer in Plötzensee
: Das Gittertor zum Tod

Stehen Sie auf fade Schokotäfelchen? Wir auch nicht. Die Türen des taz-Adventskalenders verbergen anderes: geheime Schätze und wilde Tiere. Sex and Crime. Letzte Dinge. Bis Weihnachten öffnen wir täglich eine Tür – auf einem Kalender namens Berlin.

Was hat Clarita Müller-Plantenberg mit diesem Ort am Rande Berlins zu tun? Ein Industriegebiet mit flachen Fabrikbauten und wenigen Einfamilienhäusern, eine einsame Bushaltestelle, der Hohenzollernkanal mit einer Schleuse gleich neben dem Saatwinkler Damm, einer befahrenen Zubringerstraße zum Flughafen Tegel. Müller-Plantenberg ist Soziologieprofessorin und Mitbegründerin der Lateinamerika-Nachrichten. Die weite Welt hat sie im Blick, nicht diesen toten Ort im Niemandsland der Hauptstadt.

Doch es existiert eine Verbindung. Umfasst von den Mauern der Justizvollzugsanstalt Plötzensee, gibt ein hohes Gittertor einen kurzen Weg frei zu einer Mauer. Darunter liegen verwelkte Blumenkränze. Dies ist die Gedenkstätte Plötzensee für die Opfer des Nationalsozialismus. Müller-Plantenbergs Vater Adam von Trott zu Solz wurde hier nach seiner Verurteilung vor dem „Volksgerichtshof“ unter Roland Freisler am 26. August 1944 hingerichtet. Der Diplomat war am Umsturzversuch vom 20. Juli 1944, ausgeführt durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg, beteiligt.

In den zwölf Jahren des nationalsozialistischen Terrors zwischen 1933 und 1945 werden in Plötzensee fast 3.000 Menschen hingerichtet. Zunächst wird eine Guillotine benutzt, dann Ende 1942 im Hinrichtungsraum ein Stahlträger eingezogen, an dem acht Eisenhaken befestigt sind. Mit diesem Galgen mordet man daraufhin, zuerst die Angehörigen der Widerstandsorganisation Rote Kapelle, später die am Umsturzversuch vom 20. Juli beteiligten Widerstandskämpfer. Insgesamt werden in Plötzensee zwischen 8. August 1944 und 9. April 1945 – weniger als einem Monat vor Kriegsende – 89 Menschen getötet, die den Widerstandskreisen des 20. Juli 1944 zugerechnet werden können oder diese unterstützt haben.

Die Scharfrichter erhalten jährlich 3.000 Reichsmark als feste Vergütung und pro Hinrichtung 60, später 65 Reichsmark. Die Angehörigen der Hingerichteten müssen eine „Kostenrechnung“ bezahlen. Die Staatsanwaltschaft fordert für jeden Hafttag in Plötzensee 1,50 Reichsmark. Sogar für die Hinrichtung müssen die Angehörigen zahlen: 300 Reichsmark – und für das Porto zur Übersendung der „Kostenrechnung“ 12 Pfennig.

Hitler hat die Hinrichtungen der Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 filmen und sich vorführen lassen. Das Hängen wurde so gestaltet, dass der Todeskampf möglichst lange dauerte. Clarita Müller-Plantenberg kennt diese Geschichte. Es ist auch die Geschichte ihres Vaters. „Ich weiß, dass er sehr gelitten hat“, sagt sie.

Im Hinrichtungsraum mit den Fleischerhaken, wo jedes Jahr ein Gottesdienst in Erinnerung an die Ermordeten stattfindet, war Clarita Müller-Plantenberg nie: „Ich habe das jeden Tag meines Lebens vor mir: Warum soll ich da noch hingehen?“

PHILIPP GESSLER

Morgen: Antihundetür am Traveplatz