Die Reform wird nicht ganz so mutig wie geplant

Die Vorschläge von Stoiber und Müntefering können Bund und Länder nur teilweise entflechten. Viele Fragen sind bis Freitag noch zu klären

BERLIN taz ■ Für die Föderalismuskommission hat die entscheidende Woche begonnen. Am Freitag will die Kommission ein Paket an Verfassungsänderungen vorschlagen, um Bund und Länder zu entflechten und die deutsche Politik damit handlungsfähiger zu machen. Eigentlich wollten die beiden Kommissionsvorsitzenden Edmund Stoiber (CSU) und Franz Müntefering (SPD) gestern bereits ausgehandelte Vorschläge vorlegen. Noch aber sind zahlreiche Punkte offen.

Hauptziel der Kommission ist, die Zahl der Gesetze, bei denen der Bundesrat zustimmen muss, zu reduzieren. Bislang hat die – meist von der Opposition dominierte – Länderkammer bei fast 60 Prozent aller Bundesgesetze ein Vetorecht. Faktisch wird Deutschland deshalb von einer großen Koalition regiert – mit allen Nachteilen: Verhandlungen sind langwierig, und die Verantwortung ist intransparent.

Ursprünglich wollte die Kommission den Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze halbieren, inzwischen wären Stoiber und Müntefering schon zufrieden, wenn sie den Anteil der zustimmungspflichtigen Vorlagen auf 35 bis 40 Prozent senken könnten. Technisch wird dies erreicht, indem der Bundesrat bei Eingriffen des Bundes in Verwaltungsverfahren der Länder künftig nicht mehr zustimmen muss. Vielmehr können die Länder von solchen Vorgaben einfach abweichen. Ein Vetorecht fordern die Länder nun aber für Gesetze mit „besonderen Kostenfolgen“. Noch sind hier aber die entscheidenden Fragen offen: Ab wann gilt ein Gesetz als kostenintensiv?

Als Ausgleich für den leichten Rückzug im Bundesrat sollen die Länder wieder mehr eigene Zuständigkeiten bei der Gesetzgebung erhalten. So sollen sie künftig Laufbahn, Besoldung und Versorgung der Landesbeamten selbst festlegen können. Auch im Bereich des Hochschulrechts werden die Länder mehr Freiräume haben als bisher. Außerdem werden sie vom Bund die Kompetenzen für Versammlungsrecht, Ladenschluss, Gastättenrecht und zahlreiche kleinere Materien übernehmen. Selbst der Strafvollzug soll nach dem 20-seitigen Stoiber-Müntefering-Papier vom Wochenende von den Ländern geregelt werden.

Bisher waren in vielen Rechtsbereichen Bund und Länder gemeinsam zuständig, wobei in aller Regel der Bund die Kompetenzen wahrnahm und die Länder zurückweichen mussten. Die Länder setzten deshalb 1994 eine Verfassungsänderung durch, wonach der Bund hier nur noch dann Gesetze beschließen kann, wenn eine bundeseinheitliche Regelung „erforderlich“ ist. Das Bundesverfassungsgericht prüft dies inzwischen streng.

Deshalb versuchte die Kommission zunächst, möglichst viele Materien eindeutig Bund oder Ländern zuzuordnen, kam damit aber nicht weit. Das Feld der konkurrierenden Gesetzgebung ist immer noch groß. Stattdessen wird nun für viele Materien wie das Arbeitsrecht einfach die Erforderlichkeitsprüfung abgeschafft. Das heißt: Wenn der Bundestag ein arbeitsrechtliches Gesetz beschließt, haben die Länder das zu akzeptieren. Für den zweiten großen Streitpunkt, das Wirtschaftsrecht, bleibt die Prüfung aber erhalten. Umstritten ist noch, ob die Länder von Bundesumweltgesetzen künftig einfach abweichen dürfen. Die Grünen lehnen dies ab, weil sie einen Wettbewerb um die niedrigsten Umweltstandards fürchten. Auch bei der finanziellen Entflechtung von Bund und Ländern sowie bei der Beteiligung der Länder an der deutschen Europapolitik sind noch Fragen offen.

Spätestens am Donnerstag wollen Stoiber und Müntefering ihren endgültigen Vorschlag präsentieren. Am Freitag soll die Kommission das Paket abnicken. Anschließend werden Bundestag und Bundesrat über die Verfassungsänderungen beraten. CHRISTIAN RATH