Offensive Ablenkungsmanöver

Mit irakischem Öl wurde viel Geld verdient, während das Land unter Sanktionen stand. Dieser Skandal wird nun zur Diffamierung von UN-Generalsekretär Kofi Annan benutzt

Saddam Hussein war von den UN mit Erfolg abgerüstet, im Irak ist die Kindersterblichkeit reduziert worden

Man sollte meinen, die Cheerleader des Krieges gegen Saddam Husseins Irak hätten sich für eine Weile zum Zwecke der stillen Introspektive zurückgezogen, nachdem sie sich mit ihrer Begründung des Krieges, dem Verweis auf irakische Massenvernichtungswaffen, gänzlich diskreditiert haben. Doch tatsächlich ist es ebenso schwer, bei ihnen irgendeine Spur von Verlegenheit, Bescheidenheit oder Reue zu finden, wie von den angeblich reichlich vorhandenen und tödlichen Massenvernichtungsmitteln im Irak. Wohl im Glauben, Angriff sei die beste Verteidigung, gehen viele jener Kolumnisten und Zeitungen stattdessen in die Offensive – und greifen nun Generalsekretär Kofi Annan persönlich an.

Die heftigste Attacke auf die UNO konzentriert sich auf den „Oil-for-Food-Skandal“. Weil der Sohn des UN-Generalsekretärs es versäumte, die Zahlung einer unter Verdacht stehenden Schweizer Firma frühzeitig und vollständig einzugestehen, entstand zudem das Bild eines UN-Chefs im Interessenkonflikt – und dies, obwohl es keinerlei Beweise dafür gibt, dass Kofi Annan selbst irgendwelche Mitschuld tragen könnte.

In diesem Zusammenhang wirft etwa William Safire in seiner Kolumne für die New York Times (vom 15. November) dem UN-Generalsekretär „mauern“ und „Behinderung der Justiz“ vor. Man könnte sagen, solche Statements gehen einher mit dem Blick auf den Krieg und die Geheimdienstinformationen, wie sie die Irakpolitik der USA von Beginn an bestimmte. Auch da galt: Beschuldigung gleich Beweis gleich Verurteilung; gegenläufige Fakten können durch wiederholte Zurückweisungen beiseite geschoben werden; und das Gesetz kann missachtet werden, sollte es einmal im Weg stehen.

Zwei separate Skandale werden hier verbunden. Beim ersten ging es um Schmuggel. Doch die Verantwortlichkeit für die Verhinderung des Ölschmuggels durch den Irak lag bei einer Marine-Taskforce unter Beteiligung von Schiffen der US-Navy. Das General Accounting Office, die Haushaltskontrollbehörde des US-Kongresses, schätzt, dass diese Marine-Taskforce nur 25 Prozent des Ölabflusses aus dem Irak abgefangen hat. Die UNO hatte damit nichts zu tun. Die Iraker transportierten zudem Öl per Lastwagen in die Türkei, nach Syrien und nach Jordanien. Die USA und Großbritannien – und nicht die UNO – hatten Flugzeuge am Himmel, um dies zu beobachten. Dennoch wird auch hier die Schuld an dem Skandal ganz allein auf die Vereinten Nationen geschoben.

Beim zweiten Komplex, dem Abrechnungsskandal, werden die Dollarzahlen aufgeblasen, um das Bild der UNO so dunkel wie möglich zu zeichnen. Die vollständigen schwarzen Einnahmen zwischen 1993 und 2003 waren ursprünglich auf 10 bis 11 Milliarden Dollar geschätzt worden, später wurden sie auf 21 Milliarden Dollar korrigiert. Bei dem Betrug ging es darum, den Preis für das irakische Öl zu niedrig und für die vom Irak erworbenen Güter im Gegenzug zu hoch anzusetzen. Mittelsmänner, die an dem doppelten Spiel mitwirkten, wurden bestochen. Das irakische Regime profitierte vom größten Teil des Preisunterschieds bei den Transaktionen. UN-Kontrolleure im Büro des Irakprogramms hatten den Sanktionsausschuss, dem alle fünfzehn Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrats angehören, auf die Preisdifferenzen und die Aufschläge auf die Ölverkäufe hingewiesen. Es war dieser Sanktionsausschuss, nicht die UN-Bürokratie, die über die Genehmigung von Verträgen entschied.

In den achtzehn Monaten vor dem Irakkrieg machten UN-Beamte den Ausschuss auf 70 Verträge aufmerksam, bei denen die Preise möglicherweise zu hoch angesetzt waren. Nicht ein einziger dieser Verträge wurde auf Eis gelegt. Nicht einer. UN-Beamte meldeten auch Bedenken bei Lieferungen bezüglich militärisch verwendbarer Dual-Use-Technologien an. Hier handelten die USA und Großbritannien, indem sie einige der Verträge ruhen ließen. Doch keiner der insgesamt 36.000 Verträge wurde je vom Sanktionsausschuss storniert. Warum eigentlich nicht?

Der Sanktionsausschuss spiegelte die widerstrebenden Ziele des Sicherheitsrates wider, insbesondere diejenigen der USA und Großbritanniens. Deren höchste Priorität war es, Saddam Hussein abzurüsten, seine Ressourcen für eine künftige Aufrüstung zu verknappen und schließlich den durch seine Maßnahmen verursachten Schaden für die Bevölkerung zu minimieren. Alle drei Ziele wurden weitgehend erreicht.

Wir können heute mit Sicherheit sagen, dass Saddam Hussein von der UNO erfolgreich abgerüstet wurde. Während der Dauer des Öl-für-Lebensmittel-Programms (1996–2003) erhielten 27 Millionen Iraker eine Grundration Lebensmittel. Die durchschnittliche tägliche Kalorienaufnahme stieg um 83 an. Die Sterberate von Kindern unter fünf Jahren ging zurück. Die Fehlernährung von Kindern halbierte sich. Seit dem Irakkrieg hat sie sich übrigens wieder verdoppelt.

Nachdem der Skandal aufflog, handelte Annan entschieden: Er drängte auf umfassendes und sofortiges Handeln des Sicherheitsrates. Und er beauftragte Leute von zweifelsfreier Integrität mit einer vollständigen Untersuchung. Den Vorsitz übertrug er dem ehemaligen Präsidenten der US-Notenbank, Paul Volcker. Annan hat sich zu voller Kooperation mit dem Gremium verpflichtet. Dem Gremium sollen alle notwendigen Dokumente und Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt werden. Annan verpflichtete die UN-Beamten zur Zusammenarbeit mit dem Ausschuss und kündigte an, den Bericht öffentlich zu machen.

Einige Abgeordnete im US-Kongress waren nicht glücklich darüber, dass UN-Beamte nicht von dem Volcker-Ausschuss vorgeladen werden können. Das ist verständlich. Aber die UNO hat nun einmal keine rechtliche Befugnis zur Vorladung, die sie an den Ausschuss übertragen könnten. Annan hat deshalb alle UN-Mitarbeiter angewiesen, mit dem Untersuchungsausschuss zusammenzuarbeiten, unter Androhung ihrer Entlassung.

Findet der Ausschuss Beweise für ein Fehlverhalten durch UN-Bedienstete, können sie immer noch von nationalstaatlichen Gerichten verfolgt werden, die weiter gehende Befugnisse besitzen. Annan hat öffentlich klar gemacht, dass UN-Beamte sich nicht hinter ihrem Anspruch auf diplomatische Immunität verstecken werden können.

Den Ölschmuggel aus dem Vorkriegsirak zu verhindern lag auch in der Verantwortung der US Navy

In der verkehrten Welt dieser Tage wird dieses Vorgehen Kofi Annans als „mauern“ und „Behinderung der Justiz“ bezeichnet. Tatsächlich sollte man dagegen von einer Perversion von Gerechtigkeit sprechen, wenn auf der Basis unbelegter Anschuldigungen – und noch bevor eine ordentliche Untersuchung beendet wurde – Namen ausländischer Personen und Unternehmen genannt werden –, gleichzeitig aber keine von Amerikanern, weil dies zu Ärger in US-Gerichten führen könnte. Und da fragt tatsächlich noch jemand, warum es immer mehr Feindseligkeit gegen die USA gibt?

RAMESH THAKUR

Übersetzung: Eric Chauvistré