War da was in Konstantinopel?

Die Eröffnung des ersten Museums der armenischen Geschichte in Istanbul erfreut sich großer Medienöffentlichkeit – und klammert den Völkermord während des Ersten Weltkriegs komplett aus. Die armenische Gemeinde setzt auf Ausgleich

„Wir wollen nicht nur über die Vergangenheit definiert werden“

AUS ISTANBULJÜRGEN GOTTSCHLICH

Es hat etwas von einer Zeitreise. Man wähnt sich in einem vornehmen Salon des 19. Jahrhunderts, vielleicht in Paris oder in Wien. Tatsächlich legten die Istanbuler Armenier immer großen Wert auf ihre europäische Kultur. Kein Wunder also, dass das in dieser Woche eröffnete Armenische Museum in der Stadt am Bosporus auf den ersten Blick eher wie das Heimatmuseum eines Pariser Bezirks wirkt.

Doch schon auf den zweiten Blick drängen sich die Zeichen des Ortes in den Vordergrund. Etwa ein großer Ferman, ein Beglaubigungsschreiben des Sultans Mahmut II., der einen der Räume des Museums dominiert und damit auch indirekt auf die Entstehungsgeschichte der Ausstellung verweist.

Denn das in dieser Woche feierlich eröffnete erste Museum der armenischen Gemeinde in der Türkei sollte ursprünglich nur eines von vielen Projekten der Armenier im Osmanischen Reich dokumentieren: die Geschichte des Surp Pirgiç Hospitals, einer – mit der Erlaubnis des Sultans – 1832 von armenischen Honoratioren gegründete Wohlfahrtseinrichtung vor den Stadtmauern des alten Konstantinopel. Auf dem 40.000 Quadratmeter großen Areal wurden seinerzeit ein Krankenhaus, ein Altenheim, eine Kirche und mehrere weitere Einrichtungen der armenischen Gemeinde gebaut.

Weil es aber das erste Museum der Armenier in der Türkei überhaupt ist und weil – nicht zuletzt im Rahmen der EU-Beitrittsdebatte – auch die Diskussion um den Völkermord an den Armeniern wieder ins Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit gerückt ist, wurde das kleine Museum in einem Seitentrakt des nach wie vor existierenden Krankenhauses plötzlich zu einem Politikum in der Türkei.

Ministerpräsident Tayyip Erdogan höchstpersönlich kam zur Einweihungsfeier, der armenische Patriarch Mutafyan war selbstverständlich auch da, und mit ihnen fiel nahezu die gesamte türkische Presse in das ruhige, mit hohen, uralten Mauern abgeschirmte Areal ein. Erdogan wertete die Eröffnung des Museums als Zeichen für das gute Zusammenleben zwischen Türken und Armeniern, und auch die Gründer wollen die Ausstellung als Zeichen der Freundschaft gewertet wissen.

Gezeigt werden neben Dokumenten und alten Einrichtungs- und Gebrauchsgegenständen des Krankenhauses die Porträts der berühmtesten armenischen Familien. Sie alle gehörten zu den Stiftern des Krankenhauses. Doch was nicht auftaucht, sind Hinweise auf das dunkle Kapitel der Verfolgung, Deportation und Ermordung von hunderttausenden Armeniern während des Ersten Weltkriegs.

Zum einen, weil das Krankenhaus nicht direkt davon betroffen war – das Surp Pirgiç war in seiner 172-jährigen Geschichte nie geschlossen und konnte auch während der Verfolgungsjahre ungehindert arbeiten. Zum anderen jedoch taucht dieses Geschichtskapitel hier nicht auf, weil, wie Setrak Tokat, Leiter des Krankenhauses und damit auch des Museums, sagt, „wir diese Frage den Historikern überlassen wollen“. Er persönlich will auch nicht von Völkermord sprechen und verweist darauf, dass es während des Krieges natürlich viele mörderische Ungerechtigkeiten gegeben habe. „Ob die Armenier mehr davon betroffen waren als andere, will ich nicht entscheiden“, legt er seine Haltung auf Nachfrage dar.

Setrak Tokat, ein älterer, graumelierter Herr, gehört zu dem Teil der armenischen Gemeinde in der Türkei, die um einen Ausgleich bemüht ist und keine Konfrontation wünscht. Aber auch führende jüngere Vertreter der Armenier, wie etwa Hrand Dink, Chefredakteur der armenischen Wochenzeitung Agos, lehnen das Vorgehen der armenischen Diaspora-Gemeinde – speziell in Frankreich und den USA – ab. „Wir wollen“, sagt Hrand, „nicht nur über die Vergangenheit definiert werden. Unsere Zukunft ist wichtiger.“

Ministerpräsident Tayyip Erdogan höchstpersönlich kam zur Einweihungsfeier

Deshalb lehnen die allermeisten Armenier in der Türkei auch die Forderung ab, die Türkei müsse vor Beginn von Beitrittsverhandlungen den Genozid anerkennen. Diese Frage, da sind sich Hrand Dink und Setrak Tokat einig, darf kein Hindernis auf dem Weg nach Europa werden.

Tatsächlich hat sich unterhalb der Schwelle eines offiziellen Schuldeingeständnisses seitens des Staates in den letzten Jahren ja auch einiges bewegt. Die armenischen Stiftungen, das zeigt der Surp-Pirgiç-Komplex eindrücklich, haben erheblich mehr Freiraum, mit ihrem Eigentum in ihrem Sinne zu verfahren, als früher. Das Tabu, öffentlich über den Völkermord zu diskutieren, ist längst nicht mehr so absolut wie noch vor einigen Jahren.

Selbst die Beziehungen zur Republik Armenien haben sich Schritt für Schritt erheblich verbessert. Auch ohne gegenseitige diplomatische Anerkennung geht mittlerweile zweimal in der Woche ein Flieger von Istanbul nach Jerewan, und allein in Istanbul sollen zwischen 40.000 und 50.000 Armenier aus dem Nachbarland schwarz arbeiten. „Die Regierung“, meint Setrak Tokat, „drückt da ein Auge zu.“

Nach dem Rundgang durch das Museum führt Setrak Tokat noch zu der alten armenischen Kirche, in der Kranke und Senioren sich zum Gottesdienst treffen. Die Kirche ist gerade komplett restauriert worden und erstrahlt in beeindruckender Pracht. „Hätten wir diese Kirche so aufwändig und mit viel Geld restauriert, wenn wir uns hier nicht sicher und wohl fühlen würden?“, fragt Herr Tokat – und schüttelt den Kopf.