„Ich träume auf Deutsch“

Hanno B. Rumpf

„Ich habe damals als Student in Bremen nicht zum bewaffneten Kampf in der Bundesrepublik Deutschland aufgerufen, sondern für den in Namibia geworben“ „Trotz der historischen Tatsachen kann man nicht nur eine rückwärts gewandte Perspektive in der Beziehung unserer beiden Länder einnehmen“

Die Sicherheitstüren in der Berliner Botschaft der Republik Namibia fliegen auf. Herein kommt Seine Exzellenz, der Botschafter des schwarzafrikanischen Staates. Hanno Rumpf ist fast zwei Meter groß, dunkelblond, weiß, spricht fließend Deutsch mit norddeutschem Akzent. „Ich bin Afrikaner, deutschsprachiger Namibier“, sagt der Repräsentant des Landes, das einmal Deutsch-Südwestafrika hieß. Bis 1990 kämpfte er gemeinsam mit Präsident Samuel Nujoma in der Swapo für die Unabhängigkeit des 1,8 Millionen Einwohner zählenden Namibias von Südafrika. Rumpf war Wirtschaftsstaatssekretär und Mitglied der Planungskommission seiner Regierung. In Deutschland ist er nicht zum ersten Mal.

INTERVIEW ROLF LAUTENSCHLÄGER

taz: Herr Botschafter, löst es Irritationen auf dem diplomatischen Parkett aus, weil Sie als Repräsentant der Republik Namibia so weiß aussehen?

S. E. Botschafter Rumpf: Überhaupt nicht. Am allerwenigsten sind meine afrikanischen Kollegen verwundert.

Und auf deutscher Seite?

Da führt das manchmal zu Verwirrung. Als ich mich vorstellte und sagte, „Ich bin der namibische Botschafter“, glaubte man einige Minuten, ich sei der deutsche Botschafter in Namibia.

Stört Sie das?

Ich sehe das gelassen und habe mich daran gewöhnt, dass deutsche Gesprächspartner nicht unbedingt davon ausgehen, dass ein weißer Namibier sein Land als Botschafter vertritt.

Aber etwas mehr Understatement fänden Sie besser?

Es ist das erste Mal, dass ein weißer Botschafter Namibia vertritt. Aber auf Afrika insgesamt bezogen, trifft das allerdings nicht zu. Ab 1994 etwa hat es für das demokratische Südafrika unter einer ANC-Regierung die Anstellung weißer Botschafter gegeben, die selbst aus dem ANC kamen, so wie ich aus der Swapo komme.

Wie sehen Sie sich selbst?

Ich definiere mich als weißer Afrikaner, als Namibier, als deutschsprachiger Namibier.

In welcher Sprache träumen Sie?

Unterschiedlich. Seit ich in Berlin lebe, ertappe ich mich dabei, zusehends wieder „auf Deutsch“ zu träumen. In Namibia habe ich mehrheitlich englische Träume. (lacht)

Ihre Großeltern sind von Deutschland nach Namibia ausgewandert. Haben Sie sie mal gefragt warum?

Es waren in erster Linie wirtschaftliche Gründe. Für Menschen wie meine Großeltern, die aus der Zeit des Kaiserreichs kamen, bedeuteten die gesellschaftlichen Veränderungen damals einen regelrechten „Knacks“. Der Erste Weltkrieg war verloren, die Monarchie abgeschafft, in Deutschland herrschte eine Hyperinflation. Bei jüngeren Menschen hat das unter anderem bewirkt, dass sie Perspektiven anderswo gesucht haben. Die meisten gingen in die USA, andere nach Afrika.

Stimmt die Geschichte, dass Ihre Großeltern zufällig in Namibia landeten?

Ja, sie warteten in Bremerhaven auf ein Schiff nach New York. Als ihnen langsam das Geld ausging, weil das Schiff nicht kam und die nächste Passage nach Namibia ging, haben sie gesagt, dann fahren wir eben nach Afrika. Das ist so wie eine Last-Minute-Reise heute.

Ihr Vater war in Namibia politisch konservativ engagiert – also nicht so entschieden für einen revolutionären Umgestaltungsprozess in Namibia und Südafrika wie Sie. Hat dieser Konflikt die Lösung von der familiären deutschen Geschichte und Ihre eigene afrikanische Identität bestärkt?

Es gab damals große Konflikte in der Familie. Immerhin war ich Mitglied der Swapo. Ich war als Student an den südafrikanischen Universitäten politisch aktiv – Namibia hatte zurzeit der südafrikanischen Besatzung keine Universitäten – und hatte mich gegen diese Besatzung gewandt. Und ich war der erste Generalsekretär der namibischen Studentenbewegung. Da waren Konflikte mit dem damaligen Apartheitsystem programmiert – und auch zu Hause.

War die politische Arbeit gefährlich?

In Namibia wurden Leute inhaftiert, viele wurden umgebracht.

Gingen Sie deshalb 1984 ins Exil?

Der Grund war, dass ich einen Einzugsbefehl des südafrikanischen Militärs erhielt. Da hat die Swapo gesagt, jetzt ist es Zeit, das Land zu verlassen. Hätte ich den Militärdienst verweigert, wäre ich wahrscheinlich für sechs Jahre inhaftiert worden. Und das wäre vergeudete Zeit gewesen. Da sagte die Swapo zu Recht, es ist vernünftiger, das Land zu verlassen, die Unterstützung der Unabhängigkeit und des Befreiungskampfs ist wichtiger als im Knast zu sitzen.

Sie gingen an die Universität nach Bremen. Warum nicht in die DDR, die die Swapo unterstützte?

Die Swapo hat überall Unterstützung gesucht – in der DDR auch für den bewaffneten Kampf. Es gab ein starkes solidarisches Verhalten seitens der DDR, aber ich wurde dahin geschickt, wo ein ähnliches Verhalten noch nicht so gegeben war. Allerdings: Ich habe ja damals nicht zum bewaffneten Kampf in der Bundesrepublik Deutschland aufgerufen, sondern für den in Namibia geworben. Das war durchaus legitim und wurde auch von der UNO so bestätigt. Ich möchte übrigens daran erinnern, dass ich in Bremen ganz persönlich und besonders für die politische Arbeit viel Unterstützung durch die Behörden und den heutigen Bürgermeister Henning Scherf erhalten habe.

War die DDR damals der „bessere“ deutsche Staat für die Sie?

Es gab in der Swapo Kräfte, die die DDR als das bessere Deutschland angesehen haben. Aber es herrschte auch ein sehr klares Verständnis darüber, dass man die Unterstützung beider Staaten benötigen würde, um unser Ziel zu erreichen. Lassen Sie uns zurückschauen: Als die ersten Swapo-Mitglieder unter Nujoma Namibia verließen, wandten sie sich an westliche Botschaften mit der Bitte, den Unabhängigkeitskampf zu unterstützen. Erst nach deren Ablehnung wandte man sich an die sozialistischen Staaten.

Was ist die Aufgabe eines namibischen Botschafters in Berlin, was macht der einstige Freiheitskämpfer im Nadelstreifen?

Zum einen bin ich der Vertreter der namibischen Regierung und Ansprechpartner für die hier lebenden Bürger Namibias. Zum anderen ist es meine Aufgabe, für ein besseres Verständnis zwischen Deutschen und Namibiern zu werben und Aktivitäten zu entwickeln, die ein besseres Verständnis befördern.

Ein anderer Exfreiheitskämpfer, Außenminister Fischer, betont den „Dialog auf Augenhöhe“ mit den afrikanischen Staaten. Ist das nicht Augenwischerei: hier die Bundesrepublik, dort das Entwicklungsland Namibia?

Unsere Beziehungen liegen in unserer gemeinsamen Geschichte und einer gemeinsamen Zukunft. Das hat der Deutsche Bundestag auch in seinem Beschluss über die „besonderen Beziehungen“ zu Namibia festgestellt. Deutschland hat einen sehr bedeutenden Anteil am Unabhängigkeitsprozess gespielt, als Mitglied der westlichen Kontaktgruppe. Deutschland hat sich verpflichtet, die Entwicklung Nambias zu unterstützen. Darüber hinaus gibt es ja immer noch enge Bindungen im familiären und sprachlich-kulturellen Bereich. Wenn wir über die besonderen Beziehungen sprechen, dann bedeutet dieser „Dialog auf Augenhöhe“ die Bereitschaft, sich gegenseitig den nötigen Respekt entgegenbringen zu müssen.

2004 jähren sich der Herero-Aufstand 1904 und die Berliner Konferenz 1884, Daten, die für Kolonialisierung und Unterdrückung Namibias durch Deutschland stehen. Warum verfolgt Ihre Regierung in der Bewertung dieser Daten keine härtere Position? Etwa eine Entschuldigung Berlins?

Ich glaube, dass wir in Namibia bei der Erörterung dieser Fragen nicht allein da stehen. Fast jeder afrikanische Staat kann hinsichtlich der Berliner Konferenz, samt all den Schwierigkeiten, die bis heute nachwirken, Aussagen dazu machen. Tatsache ist auch, dass schon 1963 die Organisation afrikanischer Staaten feststellte, dass die Grenzen von 1884 beibehalten werden müssen – unabhängig von den daraus resultierenden Schwierigkeiten. Es hat in anderen ehemaligen Kolonien extremste Repressalien und Völkermord gegeben – so auch in Deutsch-Südwestafrika. Aber trotz der historischen Tatsachen kann man nicht nur eine rückwärts gewandte Perspektive in der Beziehung der beiden Länder einnehmen. Sondern man sollte sich die Gegenwart und Zukunft ansehen und festlegen, in welche Richtung wir gemeinsam gehen möchten.

Der 9. November 1989: In Deutschland fällt die Mauer, in Namibia gewinnt die Swapo die Wahlen. Merkwürdige Parallelitäten zweier Staaten mit gemeinsamer Vergangenheit?

Das Phänomen Michael Gorbatschow hat in ganz enormen Maße dazu beigetragen, die Unabhängigkeit Namibias und die vor langer Zeit beschlossene UNO-Resolution 435 zu befördern. Gleichzeitig war Gorbatschow ein wichtiger Faktor für den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands. Hätte es Glasnost und Perestroika, die Unterstützung durch die USA und der westlichen Kontaktgruppe nicht gegeben, dann hätte vielleicht ein anderes weltpolitisches Klima nicht zu diesen historischen Veränderungen geführt. Diese günstige Konstellation hat beide Entspannungsprozesse befördert. Dergestalt kann man durchaus von einer historischen Parallelität reden.

Würden Sie von sich sagen: „Ich bin ein Revolutionär“?

Ich würde darüber schmunzeln, weil ich ein anderes Bild von mir selbst habe. Andererseits ist das durchaus berechtigt, weil es in Namibia noch immer einen starken Bedarf an gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderung gibt – und die will ich mitgestalten.

Was ist das namibische Äquivalent zur deutschen Weihnachtsgans?

Bei uns feiert man Weihnachten nicht mit Gänsebraten. Aber Weihnachten ist ein richtiger Feiertag in Namibia. 96 Prozent der Namibier sind Mitglieder einer christlichen Kirche. Aus einem christlichen Verständnis heraus hat die Heilsbotschaft eine wichtige Funktion.

Also, was kommt auf den Tisch?

Alle Leute, die es sich leisten können, essen wahrscheinlich furchtbar viel Fleisch, was man in Namibia sehr gern macht. Und sie trinken einige Flaschen Bier, um gegen die Hitze anzukämpfen.

Schnee fällt nicht am 24. 12.?

Nein, wir haben derzeit 45 Grad Celsius. Das unterscheidet uns nun wirklich.