Folter im österreichischen Bundesheer

Verteidungsminister bezeichnet simulierte Geiselnahme in Oberösterreich als Ausnahme. Neuer Fall in Tirol

WIEN taz ■ Simulieren von Geiselnahmen gehöre nicht zur Ausbildung im Grundwehrdienst, versicherte Verteidigungsminister Günther Platter (ÖVP), nachdem letzte Woche ein Fall in Oberösterreich bekannt geworden war. Das sei ein bedauerlicher Einzelfall. Platter beorderte den verantwortlichen Unteroffizier vor die Disziplinarkommission und benachrichtigte die Staatsanwaltschaft. Der Bataillonskommandant wurde abgelöst. In der Tilly-Kaserne von Freistadt, nördlich von Linz, war eine solche Übung gefilmt worden. Soldaten mit Kapuzen robbten durch Schlamm, wurden von einem Ausbilder angebrüllt und misshandelt. Das Video löste eine Welle der Empörung aus. Tags darauf bemühte sich ein schockierter Verteidigungsminister durch eine öffentliche Entschuldigung bei den Opfern um Schadensbegrenzung.

Doch seine Einzelfalltheorie sollte nicht lange halten. Denn am Montag veröffentlichte eine Tiroler Regionalzeitung Fotos von einer ähnlichen Übung in der Kaserne der Tiroler Gemeinde Landeck. Der liegt nicht nur ein Jahr zurück, er gelangte über die Militärzeitung Der Adler auch im vergangenen März an eine begrenzte Öffentlichkeit. „Mit verbundenen Augen und gefesselten Armen harrten wir meist kniend fünf Stunden in einem klirrend kalten Reitstall aus“, schrieb dort einer der Übungsteilnehmer. Der Bericht hatte damals keine Aufregung ausgelöst.

Seit der Publikation des Videos von Freistadt waren bis Dienstag bei der Bundesheer-Beschwerdekommission mehr als 450 Anrufe und 150 Mails eingetroffen, zehnmal mehr als üblich. Deren Chef, der Abgeordnete Paul Kiss, sprach davon, dass „das Ereignis von Freistadt einen Dammbruch bewirkt hat“. Jeder Dritte klage über Schikanen, ein weiteres Drittel habe Fälle von Misshandlung angezeigt.

Peter Pilz, Wehrsprecher der Grünen, machte als Ursprung der Foltermanöver ein Video der deutschen Spezialeinsatzkräfte über die Bekämpfung von Geiselnehmern aus. Das habe Wachtmeister P. bei seiner Grundausbildung im Jagdkommando vor zwei Jahren gezeigt bekommen. Für ihn steckt hinter den Exzessen ein Systemfehler. Das Jagdkommando sei schon seit Jahrzehnten ein Hort der extremen Rechten. RALF LEONHARD