Generalstreik gegen Berlusconi

Die Sozial- und Wirtschaftspolitik des italienischen Ministerpräsidenten führt zu landesweiten Protesten – zum fünften Malin zwei Jahren. Nicht nur die Gewerkschaftsverbände, auch Unternehmer fordern jetzt eine Wende in der Wirtschaftspolitik

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Die Busse im Depot, die Banken und Postämter geschlossen, die Behörden und Fabriken verwaist – mit einem vierstündigen landesweiten Generalstreik protestierten gestern Italiens Gewerkschaftsbünde CGIL, CISL und UIL gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung von Silvio Berlusconi.

In allen größeren Städten hatten die Gewerkschaften zudem zu Demonstrationen und Kundgebungen aufgerufen, auf denen sie die Motive ihres Protests erläuterten. Im Zentrum steht der Vorwurf an die Regierung, sie sei angesichts von Krise und Stagnation untätig, sie entwickle keinerlei Programm, um eine ökonomische Wende herbeizuführen. Stattdessen verfolge sie mit ihrem Steuersenkungsplan für 2005 eine Politik, die keine Impulse für die Konjunktur mit sich bringe, die aber den Reichtum weiter von unten nach oben umverteile. Die Gewerkschaften verweisen darauf, dass 65 Prozent der Steuererleichterungen dem reichsten Viertel der Bevölkerung zugute kommen werde. Andererseits aber streiche die Regierung weiter bei Gesundheit, den Zuweisungen an die Kommunen – die gezwungen sein werden, wichtige Sozialleistungen drastisch zu kürzen – bei Schulen und Universitäten sowie im öffentlichen Dienst. Berlusconi präsentiere sich so als „umgekehrter Robin Hood“, der den Armen nehme, um den Reichen zu geben.

Zugleich war der Generalstreik für viele Berufsgruppen Anlass, für ihre teils seit über einem Jahr überfälligen Tarifverträge zu streiken. So traten die Beschäftigten des Gesundheitswesens und des öffentlichen Dienstes gleich acht Stunden in den Ausstand, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Doch das Geld für mögliche Tariferhöhungen hat die Koalition in den nächsten Haushalt nicht eingestellt.

Stattdessen setzt Berlusconi auf die propagandistische Wirkung seiner gerade verabschiedeten Steuerreform. Mit seiner geballten Medienmacht verkündet er die Botschaft, die Gewerkschaften streikten „für mehr Steuern“, also für weniger Geld in den Arbeitnehmertaschen. In der Tat muss Berlusconi von dem immerhin fünften Generalstreik binnen zwei Jahren unmittelbar nichts fürchten – der Steuerkompromiss hat seine über eine satte Parlamentsmehrheit verfügende Koalition fürs Erste wieder zusammengeschweißt.

Sorge muss der Regierung aber machen, dass ihre gesellschaftliche Unterstützung weit über die Reihen des Gewerkschaftslagers hinaus im Schwinden begriffen ist. So erhielten die Gewerkschaften von überraschender Seite für ihren Streik Zuspruch: Als der CISL-Boss Savino Pezzotta am Samstag auf einer Unternehmerkonferenz das Wort „Generalstreik“ in den Mund nahm, erhielt er von den Wirtschaftsführern großen Applaus. Und der Chef des Unternehmerverbandes Confindustria, Fiat-Präsident Luca Cordero di Montezemolo, unterzeichnete vor dem Streik zusammen mit den Vorsitzenden der drei Gewerkschaftsbünde ein Schreiben an die Regierung, in dem eine Wende in der Wirtschaftspolitik eingeklagt wird.

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