Für Cousine Sabine

Weihnachtspostkarten zu schreiben will sehr wohl überlegt sein, o ja …

Sie ist erbärmlich. Sie ist hässlich. Aber sie lässt es warm werden im Briefkasten

Am schlimmsten ist es, wenn die Unterschrift nicht lesbar ist. Dann kann man nicht zurückschreiben, und es passieren schlimme Sachen. Schließlich liest man jeden Tag in der Zeitung, dass Weihnachtskarten wie Kettenbriefe sind: „Frau Schneider aus Mannheim schrieb keine Karte zurück und wurde prompt eingeschneit. Danach bekam sie keine Geschenke und verstarb.“ So soll es uns nicht gehen!

Brav blättern wir schon im November unser Adressbüchlein durch und kreuzen an, wer dieses Jahr wieder beschickt werden soll. Den Omas schreibt man eh freiwillig. Das bringt was! Je kitschiger die Karte, desto mehr Geld im Rückumschlag. Aber Cousine Sabine zum Beispiel haben wir seit drei Jahren nicht mehr gesehen. Lebt die überhaupt noch? Wie sah die eigentlich aus? Die war doch hässlich, oder? Die kriegt nix!

Leider sieht die Liebste das anders: „Die Sabine ist doch deine Lieblingscousine.“ Ist sie gar nicht. „Doch! Und wehe, du schreibst deiner Lieblingscousine keine Karte.“ Okay, dann aber eine von den hässlichen. Mit den Füßen gemalt. Von der Behindertenhilfe. Die kriegen wir ja seit Anfang November im Zehnerpack geschickt. Unaufgefordert. Mit der Bitte „um eine Spende“. Darauf können die lange warten. Ich zahl doch kein Geld für Pappstücke, auf denen das Jesuskind aussieht wie ineinander gelaufene Soßenflecke.

„Dann darfst du die auch nicht verschicken“, bestimmt die Liebste. Mist. „Nimm doch eine von den Originellen“, schiebt die Liebste nach. „So eine, wo ‚Rück das Zeug raus, du rote Sau‘ unter dem Nikolausbild steht!“ Seh ich aber gar nicht ein. Originelle Karten im Stil von „rote Sau“ kosten einen Euro 20, und so viel sind mir schreibfaule Lieblingscousinen nicht wert. Überhaupt schicke ich Post nur an die Empfänger, die mir auch was schicken: alte Regel.

Tatsächlich geht ja eine seltsame Magie von Weihnachtskarten aus: Kalt heult der Wind um den Briefkasten, und wir ziehen die Strickjacke fester um uns, während wir ihn aufschließen. Und dann liegt sie da – zwischen Telefonrechnung und dem trostlosen Werbeblättchen vom „Räumungsverkauf bei Teppich-Fricke“: eine Weihnachtskarte! Sie ist erbärmlich. Sie ist hässlich: eine dicke, rote Kerze auf dünnem, grünen Tannenzweig. Quer drüber in Goldschrift: „Frohe Festtage“. Auf der Rückseite, mit Kugelschreiber hingeschmiert: „ … wünscht dir Thomas“. Mehr nicht. Aber es reicht: Diese Karte lässt es warm werden in unserem Briefkasten. Thomas hat an uns gedacht! Er schickt uns Weihnachtsgrüße! Thomas ist unser allerbester Freund!

Dabei ist es völlig egal, dass wir den Poststempel nicht entziffern können und deshalb keine Ahnung haben, um welchen Thomas es sich handelt. Den aus Marburg, den aus Freiburg oder um den blöden Thomas Felgenhauer, der uns seit Jahren zwei Kästen Bier und ein Essen in der „Krone“ schuldet. Wir tragen die Karte nach oben, stecken sie an den Spiegel zu den anderen und wissen: Freundschaft ist eine Weihnachtskarte.

Schnell schreiben wir allen Thomassen, die wir kennen, zurück. Noch ist Zeit bis zum Vierundzwanzigsten. Und teuer ist es auch nicht: Der Zehnerpack Kitschkarten kostet bei Aldi nur 80 Cent. Hämisch lachen wir über die unbeliebten Pickelgesichter, die dieses Jahr nur sechs hässliche Karten bekommen haben. Wir haben acht. Eine kitschiger als die andere.

Am Heiligmorgen liegt dann das Kärtlein von Cousine Sabine im Kasten. Die Liebste bringt es mit vorwurfsvollem Gesicht hoch: „Jetzt hast du’s!“, mault sie. „Sie hat sogar eine von den Originellen genommen!“ Ich lese betroffen den Aufdruck: „Frohe Arschnachten, ihr Weinlöcher!“ Mist! Das kann ich nie wieder gut machen. FRANK M. ZIEGLER