Macht und deren Unterwanderung – darüber denkt Antonio Negri am Freitag im Schauspielhaus nach
: Go Europa – ganz formlos

Die Geschichte seines „Empires“ wird der Verkünder des postmodernen Marxismus, Antonio Negri, am Freitag im Hamburger Schauspielhaus weitererzählen. Als Vorgeschmack auf das, was die LeserInnen im zweiten Teil seines globalisierungskritischen Theoriewälzers erwartet. Daran schreibt der italienische Philosoph derzeit, wieder zusammen mit dem US-amerikanischen Literaturwissenschaftler Michael Hardt.

Diesmal nimmt das Autorenduo die „Multitude“ genauer unter die Lupe. Negri versteht darunter die Menge der Menschen, von denen jeder in bestimmte Alltagszusammenhänge eingebunden ist, etwa in die Produktionsprozesse am Arbeitsplatz oder in das System der Arbeitslosenhilfe. Jeder Mensch, so erklärt Empire-Übersetzer Thomas Atzert, wird von den Produktionsverhältnissen ausgebeutet, in denen er lebt. Andererseits produziert er sie aber auch mit. Indem er Lohnarbeit leistet oder eben nicht. „Das nennt Negri Biopolitik, dieses Paradox, einerseits ausgebeutet zu sein und gleichzeitig die gesellschaftlichen Verhältnisse stets neu hervorzubringen.“

Wer sich in die bestehenden Produktionsregeln hineinfügt, der zementiert sie – und damit das „Empire“. Für Negri beziehen die USA zwar eine „wichtige Stellung im Empire – aber Amerika ist nicht das Empire. Kein Staat kann das Empire führen, denn es stellt eine grundsätzlich neue Form von Souveränität dar. Die Macht im Empire ist auf viele Stellen verteilt: staatliche Organisationen, Konzerne, multinationale Organisationen.“

In Sachen Europa werden einige Menschen aus der negrischen Menge, nämlich die parlamentarpolitischen Vertreter europäischer Nationalstaaten, demnächst eine neue europäische Konstuition verkünden. Auf einer Basis, die Negri nicht gefällt, so Atzert. „Es handelt sich bei der europäischen Konvention um den rein formalen Zusammenschluss europäischer Staaten.“ Dieser Globalisierung im schlechten Sinne setzen neue Bewegungen einen positiven Globalisierungsprozess entgegen. Etwa in Frankreich „les sans papiers“, diejenigen ohne Ausweispapiere. Die Illegalenorganisation fordert ihre eigene europäische Konstitution, nämlich dergestalt, dass jeder dort leben darf, wo er sich gerade aufhält. „Hier bin ich und hier bleibe ich“, das ist auch die Forderung der deutschen Gesellschaft für Legalisierung. In der Legalisierungsbewegung sieht Negri nur ein Beispiel für viele Aktionen alternativer Globalisierung. Bezogen auf Negris Größe der Menge liegt hier das Potenzial zur positiven Veränderung des Empires. Denn, so Atzert, „diese Menschen, auch diejenigen, die in Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland gegen Sozialabbau auf die Straße gehen, unterlaufen die offizielle Rechtspolitik, indem sie Rechtsstatuten einfordern, die auf der Ebene der Minister nicht vorkommen“.

Für seine unbequemen Positionen und sein Engagement in der außerparlamentarischen Linken wanderte Negri mehrere Male ins Gefängnis und ins Exil. Bis vor kurzem stand er unter Hausarrest, doch er macht weiter. Als kritischer Kommunist distanziert er sich „von den Machenschaften der realsozialistischen Staaten“, betont Michael Atzert. Negris Kommunismus bedeutet viel ursprünglicher eine Überwindung des jetzigen Zustands.

KATRIN JÄGER

Vortrag und Diskussion, 12.12., 21 Uhr, Schauspielhaus