… und sonst?
: Werteunterricht und Religion

Bildungssenator Klaus Böger will den Religionsunterricht an den Schulen neu regeln. Der SPD-Politiker will ein Wahlpflichtfach Lebenskunde/Ethik/Religion (LER) anbieten. Wer seine Kinder lieber zum bekennenden Unterricht einer Religionsgemeinschaft schicken will, könnte sie dann von LER ab- und zum Religionsunterricht anmelden. So ist es auch in Brandenburg geregelt. Böger wird dabei zwar von SPD-Chef Michael Müller unterstützt, ob Partei und Fraktion aber zustimmen, ist offen. Probleme hat Böger auf jeden Fall mit dem Koalitionspartner. Die PDS will einen verpflichteten Werteunterricht für alle Kinder – ohne Religionsunterricht als Alternative.

Böger hofft, mit der Neuregelung auch die umstrittene Islamische Föderation aus den Schulen zu bekommen, die 2000 vor Gericht das Recht erstritt, islamischen Religionsunterricht anzubieten. Es sollen dann nur noch solche Organisationen unterrichten, die nach Auffassung des Grundgesetzes eine Religionsgemeinschaft sind. Böger geht davon aus, dass das auf die Islamische Föderation nicht zutrifft. Bislang galt eine andere Definition. Der Jurist Bernhard Schlink unterstützt Böger in seiner Argumentation. Allerdings hatte Schlink, der Professor an der Humboldt-Uni ist und mit seinem Roman „Der Vorleser“ weit über Deutschland hinaus bekannt wurde, die Schulverwaltung auch schon 2000 im Verfahren gegen die Islamische Föderation beraten. Die Bildungsverwaltung unterlag. Sie hatte das Gericht nicht über die Verflechtungen der Islamischen Föderation mit Milli Görüs informiert, die vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft wird.

Die Föderation unterrichtet an 37 Grundschulen über 4.000 Kinder. Auch der Kulturverein Anatolischer Aleviten bietet islamischen Religionsunterricht an, erreicht aber nur 150 Kinder. Zwei weitere islamische Organisationen haben Interesse bekundet, vollständige Anträge liegen aber nicht vor.

Die Situation in Berlin ist sehr speziell, das liegt – wie in Bremen – an einer Besonderheit in der Landesverfassung: die so genannte Bremer Klausel. Danach stellt das Land nur Geld und Räume für den Religionsunterricht, alles andere organisieren die Glaubensgemeinschaften selbst. Deshalb sind auch die Kontrollmöglichkeiten des Landes sehr begrenzt.

Bislang gibt es bundesweit nirgendwo islamischen Religionsunterricht in staatlicher Verantwortung, an dem die Religionsgemeinschaften beteiligt sind und der auf Deutsch unterrichtet wird. Genau das aber fordern hier lebende Muslime bereits seit den 70er-Jahren. Entweder findet Islamunterricht in Türkisch als Teil des muttersprachlichen Unterrichts statt – oder in Form von Modellversuchen. Der größte läuft seit fünf Jahren an 110 Schulen in Nordrhein-Westfalen, islamische Organisationen sind nicht beteiligt. Dies wird jetzt in Niedersachsen versucht – aber nur an acht Grundschulen.

In einigen europäischen Ländern ist das anders: In Österreich und Belgien ist der Islam als Religionsgemeinschaft anerkannt. In Österreich nimmt dieses Recht die „Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ wahr – und bietet seit 1982 staatlich finanzierten Religionsunterricht in öffentlichen Schulen an, genau wie die anderen Religionsgemeinschaften. Ähnlich ist es in Belgien. In den Niederlanden und Großbritannien dagegen gibt es keinen konfessionsgebundenenen Unterricht. Sondern Religionskunde als Pflichtfach für alle Kinder. SABINE AM ORDE