Der Mann mit dem Container

Die UNO hat einen Sonderbeauftragten für das Internet. Dieser hat ein Modellprojekt – und das ist entwicklungspolitisch eine Katastrophe

AUS COSTA RICABERT HOFFMANN

Das also ist das Modell: Links Kaffeeplantagen, rechts das Fußballfeld des Dorfes, dazwischen ein strahlend weißer Container. Lincos steht drauf, für „Little Intelligent Communities“, und dieser Container in San Marcos de Tarrazú, im Bergland von Costa Rica, soll das Paradebeispiel dafür sein, wie die Blüten der Informationsgesellschaft noch bis in das abgelegenste Dorf gebracht werden können. Die Federführung für das Projekt liegt bei José María Figueres, der in den 90er-Jahren Costa Ricas Präsident war und der jetzt der „Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für die Informations- und Kommunikationstechnologie“ ist, sozusagen der „Mister Internet“ der Weltorganisation. Die Lincos waren seine Visitenkarte für den Karrieresprung. Ein Projekt also, das einen näheren Blick lohnt.

Der Lincos in San Marcos war der erste, der in Dienst ging: Ein recycelter Schiffscontainer, entworfen vom renommierten Massachusetts Institute of Technology in Boston und vollgestopft mit allem, was die digitale Wundertüte hergibt, von Internet-Terminals bis zum digitalen Radiosender, von Satellitenfax bis Telemedizin, gesponsert von den üblichen Verdächtigen, deren Logos auf der Containerwand prangen: Intel, Microsoft, Hewlett Packard etc. Journalisten aus aller Welt wurden eingeflogen und es hagelte euphorische Artikel, noch bevor das Pilotprojekt überhaupt richtig zu arbeiten anfing. Das war im Jahr 2000.

Drei Jahre nach der Einweihung ist der Befund deprimierend. In San Marcos de Tarrazú sind die teuren Geräte für Telemedizin noch nie benutzt worden, so wenig wie das Computerlabor für Bodenproben oder die digitale Radiostation. Für all dies bedarf es schließlich nicht nur eines technologischen Care-Pakets, sondern der Aufnahme der Technologien durch soziale Strukturen, die sie nutzen.

Doch Figueres’ Lincos-Projekt interessierte sich nicht dafür, ob es in der Gemeinde eine Gruppe gab, die kommunales Radio machen wollte. So steht nun die Ausrüstung da und macht Eindruck auf Besucher, sonst nichts. Oder die Telemedizin; zum einen ist sie vielleicht ohnehin nicht das Dringendste in Gegenden, in denen es an der Grundversorgung mangelt. Doch wenn, dann hat medizinische Hightech nur Sinn in den Händen von medizinisch geschultem Personal; sie gehört in die nächstgelegene Gesundheitsstation, nicht in ein Allzweck-Gemeindezentrum. Gerade dass die Lincos-Container wie ein Schweizer Taschenmesser auf engstem Raum Werkzeuge für nachgerade alle Lebensfragen bereithalten, hat viele Besucher so beeindruckt; sinnvoll für die Nutzer am Standort ist es allerdings nicht.

Was im costaricanischen San Marcos tatsächlich genutzt wird, das sind die sechs Computerarbeitsplätze, sowohl für Schulungsmaßnahmen wie auch für die individuelle Nutzung. Bei Letzerer stehen, so die Lincos-Mitarbeiterin vor Ort, E-Mail-Kontakte mit Verwandten im Ausland sowie Internetangebote zu Fußball, Kochrezepten oder Spielen im Vordergrund. Warum auch nicht. Nur hätte dafür auch ein einfaches Telecenter, wie die zumeist von NGOs oder kommunal organisierten Internet-Zugangszentren in der Dritten Welt genannt werden, gereicht, und es hätte nicht mal ein Zehntel der Hightech- Container aus Boston gekostet.

Dabei präsentiert sich das Recycling der ausrangierten Schiffscontainer ja als clevere und Kosten sparende Idee. Der Container ist das unverzichtbareMarkenzeichen der Lincos, es symbolisiert universelle Einsetzbarkeit genauso wie stählerne Unverwundbarkeit.

Doch als Gebäude in tropischen Ländern ist der Container eine Katastrophe, da die Sonnenstrahlen das Metallgehäuse so aufheizen, dass der Raum zum Brutofen wird. So ist für die Lincos-Container als Sonnenschutz noch eine dreimal so große Zeltdachkonstruktion nötig, deren Kosten allein den Bau eines Steinhauses mit ortsüblichen Mitteln weit übersteigen.

Dennoch ist der Container der Schlüssel zum Erfolg bei Medien, Institutionen und Geldgebern im Norden – gerade weil mit ihm eine so klare Abgrenzung zur Umgebung markiert wird. Das komplexe Problem, wie die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in ländliche Gemeinden der Dritten Welt mit niedrigem Bildungsniveau und großer Armut integriert werden können, findet hier eine rein technische Antwort, konkret fass- und vorzeigbar in einer Metallbox von 8 mal 2,40 Metern.

Die Konzeption der Lincos blendet alle Diskussionen der letzten Jahrzehnte um sozial angepasste Technologie aus. Ihren Initiator, José María Figueres, hat sie damit zum Top-Repräsentanten der UNO in dieser Materie qualifiziert.