Die Fehler der anderen

Spaniens Expremier José María Aznar weist im Madrider Untersuchungsausschuss jede Verantwortlichkeit für die Bombenanschläge vom 11. März weit von sich

MADRID taz ■ „Wenn’s im Flussbett rauscht, kommt irgendwann auch Wasser“, sagt ein spanisches Sprichwort. Der katalanische Abgeordnete Jordi Jané zitierte es gestern im spanischen Parlament gegenüber dem ehemaligen Ministerpräsidenten José María Aznar. Die Öffentlichkeit habe nach den Anschlägen vom 11. März mit 191 Toten schon früh geahnt, die Annahme der damaligen spanischen Aznar-Regierung sei falsch, die ETA habe die Bomben in die vier Madrider Nahverkehrszüge gelegt. Dies habe sich schließlich bewahrheitet. Gestern sagte Aznar stundenlang im Untersuchungsausschuss aus. Gelogen und Fehler gemacht haben für Aznar nur die anderen.

Mit akribischer Genauigkeit rekonstruierte er die Uhrzeiten, wann seine Regierung die Ermittlungsergebnisse an die Öffentlichkeit weitergab. Medien, die früher von Details berichteten, wie etwa über ein nach den Anschlägen aufgetauchtes Bekennervideo, müssen gelogen haben, so Aznar.

Der Exministerpräsident ging dagegen nicht auf die ungewöhnlich intensive Betreuung ein, die die Medien am 11. März erhielten, auf seine Anrufe bei den Chefredakteuren der großen spanischen Zeitungen, in denen er erklärte, an der Schuld der ETA gebe es keine Zweifel, oder die Anweisung an die spanische UN-Delegation, den Weltsicherheitsrat dazu zu drängen, in einer Resolution ausdrücklich die ETA zu verurteilen.

„Ich weiß nur, wer die ausführenden Täter waren“, spielte Aznar auf die von der konservativen Volkspartei im Ausschuss hartnäckig verfolgte Theorie an, religiöse Fanatiker hätten zwar die Bomben gelegt, die ETA aber die Mittel dafür bereit gestellt. „Ein Rechtsstaat untersucht keine Verschwörungstheorien, sondern nur ernsthafte Hinweise“, sagte dazu vor Wochen Innenminister José Antonio Alonso.

Aznar wies auch den Vorwurf zurück, seine Regierung habe vor den Anschlägen die Gefahr des islamisch-fundamentalistisch motivierten Terrorismus unterschätzt. Er habe immer wieder davor gewarnt, sagte er, die Opposition habe ihn dabei jedoch nicht ernst genommen. Allerdings kam ausgerechnet diese Frage, ob die Behörden nicht mehr gegen diese Bedrohung hätten unternehmen können, erst zum Schluss der Vernehmung Aznars zur Sprache.

Dabei würde eine nähere Beleuchtung dieser Frage zu der erschreckenden Erkenntnis führen, dass Nachlässigkeiten, mangelnde Koordinierung der in Spanien miteinander konkurrierenden Polizeieinheiten, zudem eineunzureichende Ausstattung der Ermittler es den islamischen Terroristen in Spanien zumindest sehr leicht gemacht haben. In den spanischen Gefängnissen gab es bisher keine Möglichkeit, die Telefongespräche wegen Terrorismusvergehen einsitzender Araber abzuhören, weil Übersetzer mit Arabischkenntnissen fehlten.

Zudem ist der Handel mit Sprengstoff in Spanien während der Regierung Aznar vollkommen außer Kontrolle gewesen. Die Händler, die auch die mutmaßlichen Täter vom 11. März mit Sprengstoff versorgt haben sollen, prahlten gegenüber Polizeiinformanten bereits 2001 damit, große Mengen Dynamit besorgen zu können und nach Möglichkeiten zum Bau von Rucksackbomben zu suchen. Die Audio-Aufnahme eines solchen Gesprächs tauchte erst jetzt wieder zufällig in einem ausrangierten Schreibtisch der Polizeieinheit Guardia Civil auf.

HANS-GÜNTER KELLNER