Ein bisschen somnambul

Bekannt aus Film, Volksbühne und Fernsehen: Der Berliner Schauspieler Matthias Matschke gehört zu der Sorte Mensch, die durch ihren ganz eigenen Stil in Erinnerung bleibt. Eine Begegnung

Über seine Jahre mit Marthaler sagt er: „Ich habe da wohl einfach reingepasst“

VON SANDRA LÖHR

Man kann sich gar nicht entscheiden, wie man ihn eigentlich finden soll. Nett? Ja, nett auf jeden Fall. Aber irgendwie ist nett nicht das richtige Wort für den mittelgroßen Mann mit dem Kordanzug und dem schwarzen Hut, der gerade das Lokal betritt. Man winkt ihm zu, und mit der Selbstverständlichkeit derjenigen, die es gewöhnt sind, von wildfremden Menschen erkannt zu werden, kommt er auf einen zugeschlendert und schüttelt einem freundlich die Hand, bevor er sich hinsetzt, ein Bier bestellt und gleich versucht, den Dialekt zu erraten, mit dem sein Gegenüber spricht.

Ein Lokal in Mitte, spätabends an einem Wochentag im Dezember. Auftritt Matthias Matschke: dunkelblondes Haar, Mitte dreißig, von Beruf Schauspieler, lange Jahre festes Ensemblemitglied an der Volksbühne. Auf den ersten Blick keine auffällige Erscheinung.

Matthias Matschke gehört zu den Schauspielern, die man zwar sofort wiedererkennt, bei denen man sich aber ständig fragt, wo man sie zuletzt gesehen hat. Das liegt sicher daran, dass er nicht nur für das Theater arbeitet, sondern zuletzt auch in großen Kinofilmen wie „Sonnenallee“, „Soloalbum“ und „Wolfsburg“ und in Anke Engelkes Comedyshow „Ladykracher“ zu sehen war. Aber vor allem liegt es daran, dass man sich eher an seine leicht schräge Art erinnert als an die Rollen, die er gespielt hat. Obwohl „schräg“ nicht der richtige Ausdruck ist für einen, der jahrelang unter Castorf und Marthaler Theater spielte und heute zu den paar Schauspielern gehört, die sich ihre Rollen aussuchen können und sich nicht in Vorabendserien verheizen lassen müssen.

Dabei ist Matthias Matschke keiner, bei dem man das Gefühl hat, dass er von jenem Eifer zerfressen ist, mit dem Hollywood-Schauspieler gerne ihre Berufswahl begründen. Schauspieler wollte er zwar schon immer werden, aber: „Ich hatte nie so ein großes Lebensziel, wo ich mich dauernd gefragt habe: Was möchtest du erreicht haben, wenn du 40 bist? Mir ist es wichtiger, bei jedem Projekt zu gucken: Mit wem möchte ich gerne meine Lebenszeit verbringen?“

Vielleicht ist es gerade dieses Spielerische, mit dem sich Matthias Matschke am besten beschreiben lässt. Geboren 1968 in Marburg und aufgewachsen in einem Dorf in der Nähe von Darmstadt, studierte er zunächst evangelische Theologie und Germanistik auf Lehramt. „Ich wäre sicher auch ein guter Lehrer geworden.“ Irgendwann entschloss er sich dann aber, die Sache mit der Schauspielerei doch mal zu versuchen. Aber auf der Schauspielschule in München klappte es zunächst nicht: ein Glück, wie er heute sagt. Dafür konnte er gleich nach dem ersten Anlauf Anfang der Neunzigerjahre in Berlin an der Hochschule der Künste mit seiner Ausbildung beginnen. Nach einem kurzen Gastspiel in Frankfurt am Main kehrte er 1993 nach Berlin zurück, um bei dem Theaterprojekt Koop mitzuarbeiten.

In dieser Zeit sah er in der Volksbühne die seltsame Inszenierung eines seltsamen Schweizer Theatermachers mit Namen Marthaler. Das Stück hieß: „Murx den Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn ab!“, und auf der Bühne bohrten Männer in Trainingsanzügen oder Sakkos aus den Siebzigern in der Nase, gingen ab und zu aufs Klo, schauten verklemmten Frauen unter den Rock, erzählten schlechte und sexistische Witze und dämmerten ansonsten stumpfsinnig vor sich hin. Ab und zu löste sich die ganze Szenerie in einem Lied auf. Für Matthias Matschke war das „ein echtes Erweckungserlebnis“. Und obwohl solche Sätze gar nicht zu ihm passen, spürt man, dass er es in diesem Fall tatsächlich ernst meint. „Ich hab damals einfach gedacht: großartig! Das will ich auch machen!“

Marthaler war damals so etwas wie ein Anwalt der postsozialistischen Tristesse, die im allgemeinen Nachwende-Euphorismus in den Hintergrund gerückt war. Er brachte Menschen auf die Bühne, die irgendwie aus der Zeit gefallen waren und von den Zentrifugalkräften eines sich ständig beschleunigenden Kapitalismus an den Rand gedrückt wurden. Zwar war der Fall der Mauer damals erst ein paar Jahre her, aber in Marthalers Menschen konnte man genauso gut die Zustandsbeschreibungen eines kaputten Kleinbürgertums, das es sowohl in der DDR, in der Bundesrepublik als auch in der Schweiz gab, wiedererkennen.

„Mir war das damals natürlich gar nicht so klar, was Marthaler da machte. Also dieses Theater gegen jede Konvention. Aber diese Szenen von den vor sich hin starrenden Männern, die nebeneinander sitzen und kein Wort miteinander redeten, kannte ich auch aus unserer Dorfkneipe.“

Ab 1996 spielte Matthias Matschke dann selber an der Volksbühne, obwohl er vorher fest davon überzeugt war, als Jungschauspieler zunächst den üblichen Gang durch die Provinztheater antreten zu müssen. 1997 bekam er dann gleich eine Rolle in Marthalers Inszenierung der „Drei Schwestern“, in der er mit völlig unbewegter Miene eine Art gymnastischen Schlangentanz aufführte, der für ihn quasi zum Ritterschlag wurde, weil er perfekt mit Marthalers Kaleidoskop etwas skurril anmutender Menschen harmonierte.

„Ich hab da wohl einfach reingepasst“, glaubt er. Fast sechs Jahre spielte Matschke an diesem Theater, manchmal an mehr als 20 Tagen pro Monat. Wie merkt man sich da all die Texte und die komplizierten Bewegungsabläufe? „Das ist eigentlich ganz leicht. Damit habe ich nie Probleme gehabt. Und ein Marthaler-Stück spielt man sowieso am besten, wenn man selbst auch gerade so ein bisschen somnambul drauf ist. Ich würde wahnsinnig werden, wenn ich jeden Abend im selben Stück spielen müsste.“

Seit ein paar Jahren arbeitet er nicht mehr fest an der Volksbühne, sondern auch an anderen Theatern. Er dreht Filme, spricht Hörspiele und inszeniert im Februar ein eigenes Stück an der Schaubühne. Mit Marthaler arbeitet er immer wieder zusammen. Zurzeit ist er in der Volksbühnen-Inszenierung „Lieber nicht“ zu sehen und probt schon wieder für ein neues Stück in Zürich. Es scheint derzeit recht viele Menschen zu geben, mit denen Matthias Matschke gerne seine Lebenszeit verbringen möchte.