Wahlkampf bis ins Wahllokal, Nichtwähler wählen auch

OSZE-Beobachter kritisieren den Wahlverlauf: Der Staatsapparat habe sich massiv für die kremltreue Partei Einiges Russland eingesetzt

MOSKAU taz ■ Bei den Wahlen zur Duma feierte ein moderner russischer Riese seine nationale Premiere. Zum ersten Mal setzte die Zentrale Wahlkommission ihr neues Auszählsystem „GAS-Wybory“ landesweit ein. Das knapp 60 Millionen Dollar teure Computernetzwerk erfasste die Ergebnisse aus 95.000 Wahllokalen. Über tausende Kilometer Glasfaserkabel und drei Satelliten funkten die lokalen Wahlkommissionen ihre Zahlen in die Moskauer Zentrale.

Anders als in Westeuropa liegen in Russland Organisation und Durchführung der Wahl in einer Hand. Die Zentrale Wahlkommission ist eine Art Ministerium. Damit könne sie das Wahlergebnis maßgeblich beeinflussen, kritisierten vor allem die Kommunisten, die vom Kreml besonders hart attackiert worden waren.

Immerhin ist es allen Parteien erlaubt, ihre eigenen Beobachter in die Wahllokale zu schicken. Für ihren Einsatz erhalten diese bis zu 1.000 Rubel (knapp 30 Euro) aus den Parteikassen. Diese Praxis jedoch verlängert den Wahlkampf bis an die Urnen.

Davon konnte sich auch die CDU-Politikerin Rita Süssmuth ein Bild machen. Sie gehörte zu den rund 450 Wahlbeobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Den Wahlverlauf verfolgten insgesamt 1.150 Ausländer. In den Moskauer Wahllokalen, die Süssmuth am Sonntagnachmittag besuchte, saßen Vertreter der Duma-Parteien direkt neben den Wahlkabinen. Beobachter der putinnahen Partei Einiges Russland hatten sich große Parteilogos an die Pullover geheftet. Ein Mitglied der Wahlkommission wollte Süssmuth Wahlwerbung der Partei Jabloko überreichen. Sie lehnte ab.

Dies sind kuriose Kleinigkeiten, verglichen mit dem, was aus der Provinz berichtet wird. Aus Tschetschenien meldete die Moscow Times, dass Stimmzettel von Nichtwählern zugunsten von Einiges Russland in die Urnen wanderten. In Wladiwostok habe es außerdem Versuche gegeben, Wählern leere Stimmzettel abzukaufen.

Die OSZE-Beobachter kritisierten den Wahlverlauf gestern massiv. Zahlreiche demokratische Kriterien seien missachtet worden, sagte der Leiter der OSZE-Mission, Bruce George. Die Abstimmung sei insgesamt gut organisiert worden, doch sei der „massive Gebrauch des Staatsapparats“ zur Unterstützung der kremltreuen Partei Einiges Russland zu beanstanden.

MATTHIAS BRAUN