Kleider machen Leute

Spiel der Abhängigkeiten: Stephan Rottkamp inszeniert die „Zofen“ am Thalia in der Gaußstraße

Wenn Victoria Trauttmansdorff in perfekt sitzendem Kostüm und Highheels als gnädige Frau auf die Bühne stolziert, strahlt sie nicht nur Eleganz aus, sondern auch unerschütterliches Selbstvertrauen. Offenes Siegerlächeln, eine Spur Arroganz. Und das, obwohl ihr Geliebter gerade im Gefängnis sitzt. Woran die beiden Zofen nicht ganz unschuldig sind.

Claire (Natali Seelig) hatte sich gerade noch im geliebt-gehassten Rollenspiel als gnädige Frau aufgeplustert, Solange (Judith Hofmann) hatte wie immer vergeblich versucht, die Herrin zu ermorden, da schlüpfen die beiden Schwestern schnell wieder in die unscheinbare, stumme Rolle der Dienstmädchen zurück, passend zu ihrer verwaschenen Zofentracht.

Stephan Rottkamps intelligente Fassung von Jean Genets Drama kommt ganz ohne Video, Musik oder Mikro aus. Die 470 Abendkleider, getragen von drei spielfreudigen Darstellerinnen, bieten genug Stoff für Auge.

Und auch inhaltlich reduziert Rottkamp das Spiel der Abhängigkeiten auf den Kern. Bei ihm wird weder lesbisch geliebt wie bei Genet noch brutal getötet wie in dem wahren Fall, der Genets Drama zugrunde liegt. Zwei Zofen hatten damals in der französischen Provinz ihre Herrin ermordet.

Im Thalia in der Gaußstraße sitzen Natali Seelig und Judith Hofmann in gepunkteter Unterwäsche da, kindlich-unschuldig die Beine von sich gestreckt, der Kopf hängt schlaff nach vorn. Natali Seelig zieht die rote Samtrobe der Herrin an und plustert sich einen Atombusen auf. Sie kann kaum laufen vor praller Erotik, reißt die Augen auf und die Mundwinkel auseinander. Eine grelle Farce, die nichts mit der Realität zu tun hat.

Die zeigt sich in Abhängigkeiten von der Gnade der gnädigen Frau. Als die Herrin den Zofen ein Abendkleid schenkt, ziehen sie es apathisch über ihre hässliche Dienstmädchenuniform. Sie hätten Glück, erklärt ihnen die gnädige Frau, denn sie würden Kleider geschenkt bekommen. Sie hingegen müsse ihre Garderobe kaufen.

Die Roben haben übrigens ihren Auftritt für sich. Zunächst liegt da nur ein Meer aus roten Rosenblüten. Dann geht ein Raunen durchs Publikum, und aus dem Blütenmeer erhebt sich ein Gestänge, Stoffe wölben sich, bis die Kleiderstange mit den Roben aufrecht steht.

Auch der Abgang von Viktoria Trauttmansdorff ist wieder ein Auftritt. Beim Schlussapplaus steht sie mit strahlendem Lächeln und Siegerinnenpose in Kostüm und Pumps da, während Natali Seelig und Judith Hofmann, erneut in gepunkteter Unterwäsche, wie zwei verlassene Kinder wirken. Traurig, aber wahr: Kleider machen Leute.

Karin Liebe

Thalia in der Gaußstraße, Mi, 20 Uhr