Yeni Raki: Die unregierbare Marke

Was das türkische Nationalgetränk Raki mit der taz zu tun hat

Die taz hat ein fast inniges Verhältnis zum türkischen Nationalgetränk Raki – als Postproduktionserfrischung. Das begann schon gleich nach der anfänglichen euphorischen Haschischphase, als die ersten Redaktionen nach der dritten Rettungskampagne protzig auf Schaumwein vom Penny-Markt umstiegen. Da suchten zur selben Zeit die nachdenklicher Gestimmten nach Alternativen zu diesem „Schickimicki-Getränk“: Während die eine Hälfte Billigbrandy in ihren Schreibtischen bunkerte, kam die andere auf den Geschmack von Yeni Raki.

Dies lag zum Teil am taz-Istanbul-Korrespondenten Ömer Erzeren, der oft und gern von seinen Redakteuren besucht wurde: „Alles tamam am Taksim?“, fragten sie ihn, woraufhin er einen Zug durch die linken Meyhane’ Istanbuls mit ihnen unternahm. In diesen meist auf Aktienbasis eröffneten Kollektivkneipen trinkt man traditionell Yeni Raki mit Wasser (Löwenmilch genannt) und isst dazu Cekirdeg (geröstete Kichererbsen). Angeblich soll Kemal Atatürk in seinen letzten Lebensjahren ausschließlich von diesen beiden türkischen Grundnahrungsmitteln gelebt haben. Allerdings trank er keinen Neuen (Yeni) Raki, sondern den alten Tekirdag Rakysy, der in der Nähe seines Geburtsortes destilliert wird und einen höheren Traubenanteil hat. Beide werden vom Staatsmonopolbetrieb für Salz, Tabak und Spirituosen – Tekel – vertrieben. Später kreierte Ömer in Berlin (der drittgrößten türkischen Stadt) eine wöchentliche taz-Beilage, die „Persembe“ (Donnerstag) hieß, und bei der Raki zu den wenigen Produktionsmitteln gehörte. Noch später eröffnete er in Istanbul ein eigenes Lokal – in der Nähe des Taksim-Platzes.

Ömers Korrespondenzpflichten übernahm Jürgen Gottschlich, der bis jetzt laut Archiv 74-mal über Raki berichtete. Mal ging es darum, dass der Anisschnaps von türkischen und deutschen Gesundheitsämtern als „mehr oder weniger gesundheitsschädlich“ eingestuft wurde, weil er mit „Fuselölen und Methylalkohol“ versetzt war. Er durfte dann aber doch – nach Einführung der EU-Zollunion mit der Türkei – exportiert werden: „Freie Fahrt für Raki“, titelte Gottschlich glücklich. Ein anderes Mal ging es um die Privatisierung des Monopolisten Tekel. Nach dem Wahlsieg der „islamistisch angehauchten“ AKP von Erdogan wurde die Schnapsbude dann Anfang des Jahres an die Investorengruppe MEY verkauft, die einen Jahresumsatz von einer Milliarde Dollar hat (wovon jedoch 70 Prozent Steuern abgehen). MEY gehört zu je 29 Prozent den drei großen Holdings Nurol, Özaltyn und Limak, die sich vorwiegend mit Hotel- und Golfplatzbau, Tourismus, Waffenproduktion, Bankgeschäften, Straßenbau und Immobilienentwicklung befassen. Den Rest (13 Prozent) besitzt die Holding Tütsab, die aus 232 kleinen Firmen besteht.

Mag sein, dass darunter der eine oder andere religiöse Raki-Verächter ist, unter den sieben Geschäftsführern der MEY befindet sich jedoch keiner, wie der Chief Executive Officer Galip Yorgancioglu versicherte. In diesem Jahr beschäftigt sich das Unternehmen mit dem nächsten Schritt – nach der Privatisierung: die Ankurbelung des Vertriebs. In der Türkei, wo derzeit 58 Millionen Liter in fünf Betrieben produziert werden, hat Yeni Raki einen Anteil am Spirituosenmarkt von 78 Prozent. Wegen der vielen Emigranten und der steigenden Zahl von Türkeiurlaubern ist der aus Rosinen, Trauben und Anissamen hergestellte Schnaps zugleich auch „der wichtigste und prominenteste Exportartikel der Türkei“. Und weil dabei Deutschland an vorderster Konsumfront steht, entschied sich Galip Yorgancioglu, hier nun in die Offensive zu gehen: Er schloss einen Vertrag mit der Berliner Firma „drinks & food“, die fortan Yeni Raki in den Schengen-Staaten vermarkten wird.

Das Handelsunternehmen, im Besitz der aus dem Elsass stammenden Familie Bouchette, hat 255 Mitarbeiter (in Pankow, Sachsen-Anhalt, Olsztyn und Szczytno). Es vertrieb bisher außer eigenen Likören und Tabaken vor allem karibischen Rum, marokkanischen Wein und Krimsekt. Vom Yeni Raki wurde der größte Teil bis heute über türkische Händler verkauft. Michael Bouchette erklärte dazu: „Weil jeder ihn importieren konnte, führte das dazu, dass die Marke unregierbar war. Ab jetzt müssen die türkischen Händler natürlich bei uns kaufen“ – und es wird eine „europäische Marktentwicklung aus einer Hand geben“. Dazu will „drinks & food“ als Erstes ein Werbekonzept entwickeln. „Zu den Alkopops, als die hochkamen, fiel uns nichts ein – bis heute. Und das ist auch gut so! Aber bei Yeni Raki bin ich mir sicher, dass wir die Marke erfolgreich weiterentwickeln werden“. Bisher wird sogar noch immer das alte Etikett verwendet – auch den Namen Tekel darf die MEY-Gruppe noch bis 2009 benutzen.

Der Monopolbetrieb wurde 1862 gegründet, Raki gibt es jedoch schon länger als die Türkei: Allein in Istanbul soll es im 17. Jahrhundert schon über 100 Destillerien gegeben haben. „Yeni Raki – mehr als eine Marke – ist Lebensgefühl, Genuss, Bekenntnis,“ titelten die Werber von „drinks & food“ schon mal vorab. Ja, es muss noch viel getan werden, damit dieser türkische Schnaps regierbar wird. HELMUT HÖGE