Experten: Hanau-Verkauf kann verhindert werden

Öko-Institut Darmstadt hält Plutoniumfabrik eindeutig für militärisch nutzbar. Andere Forscher widersprechen

WIESBADEN taz ■ In Hessen versteht das kaum ein Mensch. Als hessischer Umweltminister zwang Joschka Fischer die Siemens AG 1991 in die Knie. Es war Fischer, der damals verhinderte, dass die neue Fabrik zur Herstellung von Brennelementen in Hanau in Betrieb ging. Heute setzt ausgerechnet er dem geplanten Export der Anlage nach China keinen Widerstand entgegen.

Selbst Fischers Parteifreunde im Hessischen Landtag, ansonsten fest an der Seite des Außenministers, schlagen nun die Hände über dem Kopf zusammen. Und auch der Vorsitzende der südhessischen Sozialdemokraten, Gernot Grumbach, versteht die Welt nicht mehr: „Wir haben doch nicht so lange die Plutoniumtechnologie aus energie- und friedenspolitischen Erwägungen heraus bekämpft, um heute einfach hinzunehmen, dass diese gefährliche Technologie jetzt an einen Staat wie China geliefert wird.“

Für Grumbach steht fest, dass mit diesem Export der „Weiterverbreitung einer auch militärischen Nutzung der Atomtechnologie“ Vorschub geleistet wird. Genau das sei nicht der Fall, behauptet der Bundeskanzler. Waffenfähiges Material könne mit der Anlage nämlich gar nicht produziert werden. Es gehe vielmehr darum, das Plutonium in Brennstäbe einzulagern und so zu „entsorgen“.

Für Christian Küppers, Atomexperte des Öko-Instituts in Darmstadt, ist das „kompletter Unsinn“. Allein der „Schwund“ von Plutonium bei der Produktion der MOX-Brennelemente stelle schon ein „unverantwortliches Risiko“ dar. Denn auch mit geringsten Mengen des Bombenstoffes – permanent abgezweigt – könne militärisch experimentiert werden. Das sei durch Verträge genauso wenig zu verhindern wie durch Kontrollen der internationalen Atombehörde IAEO. Teile der Anlage könnten zudem militärisch genutzt werden, etwa der ganze Strahlenschutzbereich.

Die Anlage dürfe deshalb „auf keinen Fall“ exportiert werden, sagt Küppers. „Mit dem Verweis auf das Proliferationsrisiko lässt sich die Ablehnung des Ausfuhrantrags durch die involvierten Ministerien auch sehr gut begründen.“ Eine Pflicht, dem Verkauf nach dem Außenwirtschaftsrecht zuzustimmen, wie sie von Schröder suggeriert wird, bestehe „keinesfalls“, so Küppers.

Auch die Umweltverbände protestieren massiv. Greenpeace projizierte gestern in Hanau chinesische Schriftzeichen an die nie in Betrieb gegangene Atomfabrik: „Gefahr!“ Greenpeace-Sprecher Stefan sagte, in den Neunzigerjahren sei die Anlage Fischer zu gefährlich gewesen – „und heute ist sie kein Stück sicherer geworden“. Robin Wood erklärte, es sei „beschämend für Deutschland“, dass jetzt eine Technologie exportiert werden solle, „mit der die Welt noch unsicherer gemacht wird“. Eduard Bernhard vom „Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz“ (BBU) warf Fischer „Geschichts- und Gesichtslosigkeit“ vor. Mehr als zwanzig Jahre lang kämpfte Bernhard gegen die Hanauer Atomgemeinde. Zusammen mit Fischer feierte er damals – nach der Nichtgenehmigung der neuen Fabrik – den „ersten großen Sieg über die Atomindustrie“. Jetzt kündigt der kritische Aktionär Gegenanträge für die Hauptversammlung der Siemens AG am 22. Januar 2004 an.

Weniger dramatisch beurteilt Annette Schaper von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) das Exportvorhaben. China sei bereits Atommacht – und deshalb nicht unbedingt aus militärischen Erwägungen heraus an der Anlage interessiert. Vielleicht wollten die Chinesen das ihnen angebotene „Schnäppchen“ in Höhe von 50 Millionen Euro tatsächlich einfach nur „ausschlachten“. Mit entsprechenden Verträgen könne China zudem verbindlich darauf verpflichtet werden, die Anlage ausschließlich für zivile Vorhaben zu nutzen. Die IAEO müsse dabei als Kontrollinstanz eingebunden werden. Damit, sagt Schaper, habe die IAEO endlich auch in China einen „Fuß in er Tür“. Bislang habe sich das Land allen Kontrollen entzogen.

Die Bedenken von Küppers teilt Schaper nicht. Zwar bestehe die Gefahr der Zweckentfremdung der Anlage, doch „China ist nicht Nordkorea“. Das Land strebe nach internationaler Anerkennung. Verträge würden dort inzwischen respektiert und eingehalten.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT