„Rot-Grün fehlen die Frühwarnsysteme“

Der MOX-Verkauf, so der SPD-Politiker Hermann Scheer, verstößt womöglich gegen den Atomwaffensperrvertrag

taz: Herr Scheer, können Sie erklären, warum eine Plutoniumfabrik in China sicher ist – aber in Deutschland nicht?

Hermann Scheer: Nein, das kann ich nicht.

Kann man mit dieser MOX-Anlage Material für Atomwaffen herstellen?

Diese Fabrik hat drei mögliche Funktionen. Man kann sie für Leichtwasserreaktoren gebrauchen – das ist allerdings extrem teuer. Oder man kann sie für den schnellen Brüter verwenden. Allerdings hat China diese Technologie nicht, und es ist unklar, ob China sie anstrebt. Die dritte Möglichkeit ist es, Plutonium für Waffen herzustellen.

Das heißt, der MOX-Verkauf ist ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag?

Möglicherweise ja. Wir haben uns im Atomwaffensperrvertrag verpflichtet, solche Waffen weder herzustellen noch zu verbreiten. Was China mit der MOX-Fabrik machen wird, liegt natürlich im Bereich der Vermutung. Aber denken Sie an Brasilien. Dorthin hat Deutschland zivile Atomtechnik geliefert. 1990 kam heraus, was zuvor immer bestritten wurde – nämlich, dass Brasilien insgeheim an Atombomben gearbeit hatte. Dass es nun einen Briefwechsel zwischen Siemens und der chinesischen Regierung gibt, ist also keine Beruhigung. Diese Briefe sind noch nicht mal völkerrechtlich verbindlich – so wie die Verträge mit Brasilien.

Warum haben die erklärten Atomkraftgegner Schröder und Fischer null Interesse, dieses Geschäft zu unterbinden?

Das müssen Sie die beiden fragen.

Ist das Gedächtnisschwund?

Wie gesagt: Das müssen Sie die beiden fragen. Ich glaube, Berater haben Schröder signalisiert, dass die Sache rechtlich unbedenklich sei. Die psychologische Wirkung hat er unterschätzt.

Herr Scheer, was ist das rot-grüne Bündnis noch wert, wenn die Regierung einen solchen Fauxpas produziert?

Es gibt in dieser Regierung ein Transparenzproblem. Offenbar ist der Verkauf schon seit Februar im Gange. Die Sache hätte längst ins Parlament gehört. Jetzt haben wir es mit scheinbar vollendeten Tatsachen zu tun. Dieses Verfahren produziert Misstrauen.

Sie misstrauen Ihrem Parteifreund Schröder?

Ich traue ihm eine gewisse Leichtfertigkeit zu. Aber dies ist weniger ein Problem von Schröder. Es eine Frage des politischen Stils. Rot-grüne Politik muss diskursiver werden. Es fehlen oft die Frühwarnsysteme. Jetzt ist es natürlich viel schwerer, in China klar zu machen, dass man das MOX-Geschäft nicht will.

Sie glauben, dass Rot-Grün den Schaden noch repariert?

Man kann viel reparieren. Die Regierung von Helmut Schmidt hat Chile mal U-Boote zugesichert – und dies wegen Protests aus der Regierung selbst wieder rückgängig gemacht. Ähnlich war es bei Panzerlieferungen an Saudi-Arabien. Und da ging es um viel Geld.

Und wie kommt Rot-Grün aus dem China-Deal heraus?

Wir brauchen Alternativen. Etwa einen Entwicklungsplan für nichtatomare Energietechnologie in China.

Schöne Idee. Glauben Sie wirklich, dass Schröder sich einen Rückzieher leisten wird?

Auch Helmut Schmidts Ansehen hat nicht darunter gelitten, dass er die Waffengeschäfte mit Chile und Saudi-Arabien zurückgenommen hat.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE