Unternehmen „Wilde Küste“

Reiten, paddeln, wandern – ein romantischer Triathlon durch eine der schönsten Landschaften Südafrikas. Zehn Tage unter der Obhut einer Initiative, die einen sanften, in den Dörfern verankerten Tourismus aufbauen hilft. Auch ein soziales Abenteuer

Jede Gemeinde achtet genau darauf, ihren Anteil am Geschäft zu bekommen

von STEFAN SCHOMANN

Galopp, Galopp, Galopp! Von den Felsen zur Linken keifen Paviane herüber, zur rechten prescht eine Herde Gnus mit unseren Pferden um die Wette. Plötzlich hebt Joggie, unser Führer durchs Mkambati-Reservat, energisch die Hand. Wie eine riesige Arena gähnt ein hundert Meter tiefer Felsenkessel vor uns. Und kaum reiten wir weiter, wiederholt sich das Schauspiel: „Haaalt!“ Diesmal klafft unvermittelt eine Schlucht, so steil, dass der Blick ins Bodenlose geht.

Allein diese beiden Naturwunder stellten in jedem anderen Land der Welt Sehenswürdigkeiten ersten Ranges dar. In Südafrika jedoch weiß kaum jemand davon. Die Wilde Küste trägt ihren Namen zu Recht. Bis heute ist sie auf einer Länge von 200 Kilometern kaum mehr erschlossen als die Kalahari. Zwischen East London und Durban schert die Nationalstraße weit ins Hinterland aus, und von See her haben meist nur Schiffbrüchige einen Fuß an Land gesetzt. Die Isolation hat aber auch historische Gründe. Dies war die Küste der Transkei, die 1976 als erstes Homeland scheinhafte Autonomie erlangte. Hier leben die mit den Xhosa verwandten Pondo, ein Volk von Kleinbauern. Auch wenn ihr trostloser Operettenstaat 1994 wieder im Mutterland aufging, ist dies mit die ärmste Region Südafrikas geblieben.

Zehn Tage lang streife ich zu Fuß und zu Pferd hindurch unter der Obhut einer Initiative, die einen sanften, in den Dörfern verankerten Tourismus aufbauen hilft. Das von der EU geförderte Projekt beschäftigt rund 70 Mitarbeiter. Mitsamt den Pferden und einem kleinen Jungen erwartet mich mein Führer Chris, ein munterer, drahtiger Typ von 61 Jahren, an der Mündung des Mzamba. Wir verstehen uns auf Anhieb. Statt mich mit Smalltalk zu behelligen, unterhält er mich mit so erfrischenden Bemerkungen wie „Mein Sport ist eher das Christentum“ oder „Holen bei euch auch die Frauen das Wasser?“.

Wir starten am Casino von Port Edward. Zu Zeiten der Apartheid besaßen die Homelands das Glücksspiel-Monopol, und so ragt diese glitzernde Festung Fortunas direkt hinter der einstigen Grenze auf. Erst eine Woche später werde ich wieder ein Auto erblicken, erst in neun Tagen die nächste Brücke. Dabei haben wir bestimmt zwanzig Flüsse zu überqueren. Einige kann man durchwaten, an den größeren lässt sich ein Fährmann auftreiben. Meist jedoch bleibt man auf Pferde angewiesen. Chris stellt mir seine beiden struppigen, umbrabraunen Klepper vor. Gigima bedeute „Laufen“, Gibisela „Werfen“. Natürlich kriege ich Gibisela.

Zwar wird sie mich tragen können, das Gepäck will ich ihr aber nicht auch noch zumuten. „Das nimmt ja der Träger“, meint Chris. Welcher Träger? Da schnallt sich der Junge auch schon den Rucksack um. Ich protestiere verlegen – eine Szene, die sich tags darauf wiederholen wird, als sich eine hagere Mittfünfzigerin die Bürde auf den Kopf hievt. Doch Chris belehrt mich, dass das hier so Sitte sei und dass gerade die Frauen gegen die Nutzung von Packpferden aufbegehrt hätten. Auch sie wollen an den Wanderern verdienen. Während der Junge quer über die Hügel wetzt, trotten wir am Strand entlang. Die Sonne im Rücken, Gischt im Gesicht. Landeinwärts setzen steile Hügel die Wellenbewegung fort.

Umspielt von goldenem Licht erreichen wir schließlich in Kwanyama. Unter Feigenbäumen stehen gotisch hohe Zelte an einer Flussbiegung. Die Lagermannschaft tischt sogleich ein Büfett mit Hühnercurry, Teigtaschen und Tee auf. Am Abend besuchen wir die örtliche Sangoma, wie die Heiler und Zauberer hier heißen. Es ist stockfinster, der Himmel wie mit Sternen tätowiert. Dröhnende Trommeln weisen den Weg. In der runden Lehmhütte hocken zur Linken einige Frauen und Kinder, zur Rechten nehmen wir Männer Platz. Damit wir notfalls einen Speer nach einem Eindringling schleudern können, belehrt mich Chris. Malitha – eine aparte Erscheinung Mitte dreißig im feuerroten Kleid, mit Perlen und einer Ziegenstola behängt, die Haare zum Schlangennest geflochten – tanzt zu den peitschenden Rhythmen und steigert sich in Trance. Sie schmatzt und stöhnt, keucht und grunzt. Springt kreischend vor die Tür, kommt murmelnd wieder.

In diesem Zustand vermag sie die Beschwerden ihrer Besucher zu erkennen. Ihre Ahnen fahren in sie und sagen ihr, was zu tun ist. Malitha kennt Arzneien gegen Kopfweh ebenso wie gegen Blitzschlag. Delphinknochen, in den Pferch gestreut, halten das Vieh zusammen, Mamba-Mehl bewahrt vor Schlangenbissen. Ob sie auch Weiße behandeln könne, frage ich hinterher. Sie überlegt einen Moment, dann nickt sie: „Innen sind ja alle gleich“.

Am nächsten Morgen streichen Kronenkraniche lautlos über das Lager. Unser Weg führt durch die „roten Dünen“, eine Felsformation wie aus gestoßener Paprika, hier noch Stein, dort schon Sand. Überall liegen Faustkeile herum, Relikte der mit den Buschleuten verwandten Urbevölkerung. Kaum haben wir wieder das Meer erreicht, werden wir Zeugen eines einzigartigen Naturschauspiels: des Zugs der Sardinen. Niemand weiß so recht, woher sie kommen und wohin sie ziehen, doch Jahr für Jahr versammeln sie sich hier zu einem kilometerlangen Superschwarm.

In einem nahen Gehölz treffen wir auf einen Trupp angelernter Landschaftspfleger. Die Tourismus-Initiative bezahlt sie, damit sie die Strände säubern und die Wege instand halten. Doch sie stehen teilnahmslos herum, als wären sie allesamt Aufseher. Wir ziehen schließlich weiter, durch eine Szenerie von phänomenaler Fülle und Weite. Mal über goldgrüne Kuppen, durch ein fast liebliches Afrika mit einem Schuss Riviera. Dann wieder vorbei an mächtigen Klippen, von denen Wasserfälle wie gläserne Zöpfe niedergehen.

Die Krönung dieses Geo-Parks aber bilden Flussauen wie jene des Mtentu, wo unser nächstes Lager liegt. Mit dem Fährmann paddeln wir flussaufwärts. Jenseits des Mtentu wechseln Führer und Pferde dann in rascher Folge. Jede Gemeinde achtet peinlich genau auf ihren Anteil am Geschäft, und so werde ich wie ein Staffelholz durchgereicht. Schon die Namen der Führer bereiten mir Vergnügen. „Wonderful“ etwa glaubt sich immer wieder angesprochen, denn was finde ich nicht alles wunderbar: die Fontänen der Wale hinter der Brandung! Die warme Felddusche nach strapaziösem Wandertag! Ein weiterer Begleiter heißt „Goodman“, eine Helferin „Patience“, und später begegnen mir noch „Nosmoking“ und „The Last One“.

Wie hingewürfelt liegen die Dörfer an den Hängen. Neben den traditionellen Rundhütten künden mehr und mehr Wellblechvillen vom kläglichen Wohlstand ihrer Besitzer. Die Tourismus-Initiative hat die Gastfamilien sorgsam ausgewählt, hat hier fehlendes Besteck spendiert und dort ein Plumpsklo. Diese Begegnungen geraten nicht nur für den Gast zum sozialen Abenteuer. Als ich sie endlich zum Sprechen bringe, erklärt meine Wirtin in Cutweni: „Dass Weiße so mir nichts, dir nichts auf Besuch kommen, das war früher undenkbar.“ Und Chris gesteht: „In einer Gruppe von Weißen das Kommando zu übernehmen, das fällt mir immer noch schwer.“

Am nächsten Tag halte ich Einzug in Mboyti, im einzigen Hotel der Region. Nachdem 1994 ein populärer schwarzer Führer ermordet worden war, kam es hier zu Unruhen, und die Gäste mussten per Hubschrauber evakuiert werden. Seitdem lag das Anwesen verwaist. Als man acht Jahre später nach dem Rechten sah, offenbarte sich das Wunder von Mboyti: Nichts, aber auch gar nichts war angetastet worden. Die Tische standen noch zum Abendessen eingedeckt. Und das in einer der ärmsten Gemeinden des Landes.

Südlich von Port St. Johns wirkt die Wilde Küste dann merklich zahmer. Die Hänge sind zersiedelt und erodiert, statt Wald säumt Gestrüpp die Wasserläufe. In jeder zweiten Bucht findet sich ein kleines Hotel oder eine Hippie-Herberge. In Mpande, der Endstation meiner Wanderung, erhalte ich eine Kostprobe dieser alternativen Welt. Ob Feuerkünstlerin, Yogalehrer oder Rastafari, ob aus Neuseeland oder Winterthur, sie alle sind dem Charme dieses Ökoasyls erlegen. Zum Abendmahl gibt es Muscheln und Langusten – aus Sicht der Pondo ein Arme-Leute-Essen –, als Nachtisch stilecht Haschkekse mit Vanilleeis. Kein Wunder, dass mir tags darauf, als mich Mitarbeiter der Tourismus-Initiative abholen, alles zugleich irreal und übermäßig wirklich erscheint. „Wie war’s?“, lautet die unvermeidliche Frage. „Was für ein Trip …“, seufze ich gedankenverloren.

In Deutschland bietet der Reiseveranstalter active way in Eppstein Touren entlang der Wild Coast an: Tel. (0 61 98) 57 67 40, Fax -41, E-Mail: info@activeway.de