Bettelstudenten im Grunewald

Der Kampf der Kulturen blieb aus. 800 Studierende baten die Reichen in Berlins Villenviertel um milde Gaben und bekamen mitunter sogar Zuspruch. An der Gedächtniskirche gaben die Protestierer sogar ihr letztes Hemd. Am Ende waren alle zufrieden

VON TORBEN TRUPKE

Selbst die Polizei war gut drauf: Den Demonstranten und Demonstrantinnen, die sich am S-Bahnhof Grunewald zwar ein-, aber nicht zurechtfanden, wies sie den Weg. Etwa 800 sollen es am Ende gewesen sein, die in vier verschiedenen Routen mit ihren Betteldosen und Nikolausbärten durchs Villenviertel zogen. „Rückt sie raus, die fette Beute“, riefen sie, „denn jetzt kommt die Bettelmeute!“

Eine symbolische Aktion war das Ganze. Der Grunewald steht für die Wohlhabenden, aber auch für die größte Umverteilung öffentlichen Geldes in private Taschen, die dortige Bewohner wie Landowsky und Co. bewerkstelligten. Deren Machenschaften bescherten Berlin das finanzielle Debakel, das nun nicht unmaßgeblich zur Ursache des radikalen Sparkurses wurde.

Doch nicht jeder, der im Grunewald wohnt, ist automatisch ein Banker und damit ein Gegner der Proteste. Nadine A. zum Beispiel, 26 Jahre alt, hätte den Bettelstudenten gerne etwas gegeben. Nur: „Ich hab wirklich kein Geld dabei, tut mir Leid, ich hab ein ganz schlechtes Gewissen.“ Nur einer will nicht so recht wissen, warum ausgerechnet Berlins gute Stube zum Ziel der Proteste wird. „Das bringt gar nichts. Sie sollen lieber in den Reichstag gehen und die Poliker halb totschlagen.“

Zuvor waren die Studis durch die Straßen gezogen und hatten an den gut bewachten Villentoren geklingelt. Einige waren als Weihnachtsmänner verkleidet, alle hatten Betteldosen dabei.

Doch es waren nicht nur arme Studenten, die es in den Grunewald zog. Mit dabei war auch Johanna Fabian, eine 70-jährige Rollstuhlfahrerin aus Lichtenberg: „Wir müssen zusammenstehen, es kann doch nicht jede Gruppe für sich kämpfen.“ Fabian demonstrierte, weil Berlin den Behindertenfahrdienst kürzt, wodurch ihre Mobilität stark eingeschränkt wird.

Außer den StudentInnen der FU und TU, die die Mehrheit bildeten, waren auch noch Erwerbslose in den Grunewald gekommen, VertreterInnen des Blindenverbandes und Attac-Mitglieder. Pedram Shahyar von Attac drohte sogar ein bisschen: „Wenn nicht genug in den Bettelkasten kommt, werden wir andere Maßnahmen ergreifen. Wir werden eine außerparlamentarische soziale Opposition.“

Doch dazu kam es vorerst nicht. Vielleicht lag es ja daran, dass Betteln auch gesetzlich erlaubt ist. Wie auch immer. Am Ende waren alle zufrieden. Die Organisatoren lobten die Besonnenheit der Protestierer. Peter Grottian von der Initiative gegen den Bankenskandal hatte allenfalls gehofft, „dass ein paar mehr Wohlhabende herauskommen würden“.

Andernorts waren die Leute ohnehin freigebiger. Während die streikenden Studierenden, denen sich inzwischen auch die Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik angeschlossen hat, durch den Grunewald zogen, ließen etwa 50 Studierende auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche alle Hüllen fallen. Das Motto lautete hier: „Wir geben unser letztes Hemd.“