Der Teebeutel im Fadenkreuz

Über zwischenmenschliche Begegnungen bei einem wenig schmackhaften Heißgetränk

Die Schwiegermutter meiner Tante war von Geburt Britin, war lang und hager, wie man sich eine Engländerin so vorstellt, und hieß Palma, weil ihre Eltern auf der Hochzeitsreise auf Palma de Mallorca gewesen waren. Ihre jüngere Schwester Mary hätte demnach eigentlich Blackpool oder Bournemouth heißen müssen, was ein Runninggag in der Familie war.

Wenn Palma zum Five o’Clock Tea bat, warteten wir alle gespannt. Zwei Kannen wurden bereitgestellt, die heiß ausgespült werden mussten, das Wasser – Mineralwasser selbstverständlich – ließ sie nur kurz aufkochen, dann wurde der Tee in der einen Kanne aufgegossen und musste zweieinhalb Minuten ziehen, dann wurde er in die andere Kanne umgegossen und – schmeckte nach nichts. Als Engländerin war sie sehr sparsam und nahm grundsätzlich zu wenig Tee.

Ob das nun alle Briten so machen, entzieht sich meiner Kenntnis, aber Fakt ist, dass inzwischen der Siegeszug des Teebeutels in seinem Stammland ungeheure Ausmaße angenommen hat. Wobei der Brite nicht müde wird, unappetitliche Witze über den Unterschied beziehungsweise Zusammenhang zwischen tea-strings und t-strings zu machen, das ist dieser Slip, bei dem man praktisch nur einen Faden durch die Hinterbacken zieht. Um was es bei diesen Scherzen ging, weiß ich nicht mehr, denn mittlerweile ist mir irgendwie der Faden verloren gegangen.

Wie man hört, gehen auch die britischen Urlauber auf Nummer Sicher: Jährlich nehmen sie nach einer im vorletzten Jahr veröffentlichten Umfrage hochgerechnet rund 450.000 Kondome und fast zwei Millionen Teebeutel mit auf Auslandsreisen. Also pro vier Tassen eine zwischenmenschliche Begegnung. Wer hätte das gedacht! Bei einer Nation, deren Sexualleben sich meist auf die bekannte hot water bottle beschränkt, wovon ich mich, einigermaßen frustrated, persönlich überzeugen konnte.

Der Faden ist bei unseren deutschen Teebeuteln ja übrigens obligatorisch, während er bei den englischen so gut wie gar nicht zu finden ist. Die schmeißen viereckige, ovale und runde Beutel in ihre Kannen, und sowie die Kanne halb leer ist, wird Wasser nachgegossen. Das erklärt auch, warum man in englischen Tee-Lokalen immer umsonst nachgeschenkt kriegt.

Außerdem habe ich von einem englischen Herrn namens Sam Charles gelesen, der sich sein Studium als Teebeutelpapiertester finanziert hat. Er muss sich heißes Wasser mit Teebeuteln ohne Tee aufbrühen lassen und dann das heiße Wasser verkosten auf einen eventuell unfeinen Papiernebengeschmack.

So gibt es eine Menge Sachen, die man mit Teebeuteln machen kann: zum Beispiel Teebeutelweitwurf, eine beliebte Beschäftigung auf Geburtstagspartys.

Weiterhin habe ich gerade erfahren, dass sowohl in England als auch in Holland Teebeutelfalten groß im Schwange ist. Man faltet dabei nicht den eigentlichen Teebeutel, sondern die Papierpackung, die den Teebeutel umschließt. Es werden Müsterchen nach japanischer Anleitung gefaltet, Musterbücher sind im Umlauf. Eine schöne und sinnvolle Beschäftigung, wenn man sonst rein gar nichts mehr in seinem Leben vorhat.

Ob auf dem privaten, dem politischen oder kulturellen Sektor – der Teebeutel ist unerschöpflich. Nur eines kann man mit ihm nicht machen. Weder in England noch woanders: einen vernünftigen Tee. FANNY MÜLLER