Rechte Szene im Aufwind

Die Gewalt von rechts hat nach einem Bericht des Innensenators erheblich zugenommen. Besonders aktiv sind „Kameradschaften“. Am Samstag wollen sie durch Neukölln und Treptow marschieren

von HEIKE KLEFFNER

Die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten hat in Berlin im Vergleich zum Vorjahr stark zugenommen: 41 Angriffe von Rechten wurden schon bis Ende Juni gezählt. Aufs Jahr gerechnet sind das fast doppelt so viele wie im vergangenen Jahr, in dem 52 Gewalttaten gezählt wurden. Das sagte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gestern bei der Vorstellung des „Lagebilds Rechtsextremismus“. Insgesamt registrierten die Behörden in diesem Jahr bereits 494 Strafttaten mit rechtem Hintergrund. Als Schwerpunkte rechter Gewalt gelten die Bezirke Treptow-Köpenick sowie Pankow und Neukölln.

Damit sei es zu einer deutlichen geografischen Verschiebung gekommen, sagte Körting. Denn im Vorjahr hatte der Bezirk Marzahn-Hellersdorf mit 30 Prozent aller Angriffe den Spitzenplatz. Rechtsextreme Kader seien vermehrt in die jetzt betroffenen Bezirke umgezogen, führte Körting zur Begründung an. Eine Erklärung für den Anstieg der Angriffe, die nach seiner Ansicht zumeist „spontan, ohne Planung und oft unter Alkoholeinfluss“ erfolgen, hatte Körting nicht.

Sabine Seyb von der Beratungsstelle „Reach Out“, die Betroffene rechter Angriffe unterstützt, führt den Rückgang in Marzahn-Hellersdorf und Hohenschönhausen auch darauf zurück, „dass potenzielle Opfer inzwischen öffentliche Verkehrsmittel meiden und nachts nicht mehr auf die Straße gehen“. Bei Reach Out hofft man, dass die gestiegenen Zahlen ein verändertes Anzeigeverhalten widerspiegeln.

Als Besorgnis erregend bezeichnete Körting den starken Zulauf bei neonazistischen Kameradschaften. Kameradschaften wie die „Berliner Alternative Süd-Ost“ (Baso) übten eine hohe Anziehungskraft auf rechte Jugendliche aus. Die Kameradschaft Baso wird von dem ehemaligen NPD-Kader René Bethage angeleitet und ist in Treptow-Köpenick aktiv. Auch die „Kameradschaft Reinickendorf“ sowie die „Autonomen Nationalisten Berlin“ und die „Kameradschaft Tor“ sind den Behörden durch „öffentlichkeitswirksame Aktionen“ aufgefallen. Rechte Parteien wie NPD, DVU und Republikaner sieht der Verfassungsschutz hingegen in der Krise.

Rechte Terrorstrukturen sieht Körting in Berlin dagegen nicht – auch wenn die Sprengstoffanschläge auf das Grab des ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Heinz Galinski, noch immer unaufgeklärt sind. Allerdings mache die Entstehung von „Mischszenen zwischen rechtsextremen Skinheads, Neonazis, Rockern und Rechtsextremisten aus dem Hooliganmilieu die Auseinandersetzung viel schwieriger“.

Erfolge vermeldete Körting in zwei Bereichen: Rechte Konzerte würden konsequent unterbunden, und auch intellektuelle Rechtsextremisten seien – mit Ausnahme von Horst Mahler – in Berlin nicht sonderlich aktiv.

Wie Neonazis ihre Freizeit gestalten, enthüllten autonome Antifaschisten Ende November in Schöneweide. Dort hatten sich Aktivisten der Baso im Keller eines leer stehenden Fabrikgebäudes in unmittelbarer Nachbarschaft einer Polizeiwache einen Bunker eingerichtet – mitsamt großflächigen Hakenkreuzen und dem weißen Schriftzug „Wolfsschanze“ an der Tür.

Am Samstag will die Kameradschaft Baso unter dem Motto „Freiräume schaffen, nationale Zentren erkämpfen“ gemeinsam mit rund 500 Berliner und Brandenburger Neonazis Neukölln bis zum S-Bahnhof Schöneweide marschieren.