Die Geige nicht verstecken

MUSIK Ihren Rauswurf will Wafa Younis nicht akzeptieren. Die arabische Israelin liebt ihre Arbeit. Eine ungewöhnliche Frau

■ 54 Jahre alt, bis heute wohnhaft im Dorf Ara, im Norden Israels. 30 Jahre Musiklehrerin im öffentlichen Dienst und als solche zuständig für den Unterricht in mehreren arabischen Dörfern Galiläas. Seit 2002 Orchesterleiterin der „Saiten der Freiheit“ im Flüchtlingslager von Dschenin im Westjordanland. Sie engagiert sich auch außerhalb der Musik für Menschen in Not, darunter minderjährige palästinensische Häftlinge. SK

AUS ARA SUSANNE KNAUL

Eine Minigitarre aus Plastik war ihr erstes Musikinstrument. An der Hand ihrer Mutter geht die kleine Wafa Younis in den Spielzeugladen der nächstgrößeren Stadt und sucht sich das Ding mit den klirrenden Saiten aus. Ganze Nachmittage verbringt sie damit. Jahre später bekommt sie einige Privatstunden im Geigespielen bei einem Lehrer, den die Eltern eigens für ihren begabten Nachwuchs nach Ara, ihrem Heimatort in Galiläa, holen. Nach dem Abitur geht sie für ein Jahr zum Musikstudium nach Haifa. Bereits nach einem Jahr ist Younis staatlich anerkannte Musikpädagogin. Ein Naturtalent.

„Ich war mit 18 Jahren die jüngste Lehrerin“, sagt sie stolz, „aber das Lehrerinnendasein war eigentlich nichts für mich. Da laufen 40 johlende Kinder im Klassenzimmer herum, und ich stehe da mit meiner Geige und versuche, denen ein Lied beizubringen.“ Inzwischen ist Wafa 54 Jahre alt, wegen eines Unfalls seit sechs Jahren pensioniert und glücklich, dass sie endlich das tun kann, was sie sich schon immer gewünscht hat: ein Orchester leiten. Im palästinensischen Flüchtlingslager Dschenin, kaum zehn Kilometer Luftlinie von Ara entfernt, jedoch jenseits der israelischen Trennanlagen, gründete sie die „Saiten der Freiheit“. 14 pubertierende Streicher, Trommler und Sänger, die zusammen klassische arabische Musik und Volksmusik machen. „Musikmachen war nicht üblich“, berichtet Wafa über ihre eigene Jugend in einer angesehenen Großfamilie. Sie erinnert sich noch, wie ihr Lehrer seine Geige immer verschämt unter dem Mantel versteckt hielt und erst im Haus auspackte. Vielleicht ist diese Erfahrung der Grund, warum es ihr so wichtig ist, palästinensischen Jugendlichen die Chance zum Musizieren zu geben. Doch seit Ende März darf Wafa Younis das Flüchtlingslager nicht mehr betreten. Eine Strafmaßnahme, weil sie mit den Jugendlichen in einem israelischen Altenheim vor Überlebenden des Holocausts gespielt hat.

„Der ist völlig verrückt geworden“, ruft Wafa Younis aufgebracht und fuchtelt mit den Armen, sobald die Sprache auf Zakarija Sbeidi kommt. Der jahrelang gesuchte Kommandant der Fatah-nahen Terrorgruppe Al-Aksa-Brigaden steht für die inoffizielle Exekutive im Lager von Dschenin. Das Besuchsverbot sprach er auf Anweisung von Ortsrat Adnan Hindi aus, einem Funktionär der Fatah. Man wirft der Musiklehrerin die „Verbreitung westlicher Werte“ und „Irreführung von Jugendlichen und deren Eltern“ vor.

Kaum zu fassen, dass um die kleine, zierliche Frau, die am Stock gehen muss, seit sie sich bei einem Autounfall einen Beckenbruch zugezogen hat, so viel Aufhebens gemacht wird. Der Ausflug nach Tel Aviv sollte doch bloß eine Abwechslung für die Jugendlichen werden. 17 waren es insgesamt, davon drei, die zwar nicht in der Gruppe musizieren, aber die Fahrt, inklusive Museumsbesuch und Baden im Meer, nicht verpassen wollten. Ein Jahr vorher hatte Sbeidi selbst noch einen seiner Söhne mitgeschickt.

„Wir wollen dazu nichts mehr sagen“, wehrt dieser jeden Kommentar ab. Die Sache ist nicht gut gelaufen für ihn. Seit der Auflösung des Orchesters klingelt pausenlos sein Telefon. Die Journalisten fordern eine Erklärung für sein Verhalten gegenüber Wafa Younis. Der frühere Guerillachef war nicht immer so medienscheu. Im Sommer 2007 avancierte Sbeidi geradezu zum Liebling der israelischen Fernsehanstalten, als er, zahm geworden, die Waffen niederlegte. Er wurde zum Symbol für die Abkehr der Fatah vom bewaffneten Kampf gegen die Besatzung.

Ausgerechnet das Flüchtlingslager von Dschenin im Westjordanland sucht sich Wafa Younis für ihr Projekt aus. Sie tut es ohne Aufsehen, ohne Plakate oder politische Slogans. Die geschasste Orchesterleiterin wuschelt sich mit der Hand durchs Haar und nimmt resigniert lächelnd einen Schluck von ihrem starken schwarzen Kaffee. Die tiefen Falten in ihrem Gesicht lassen sie deutlich älter wirken, als sie ist. Gleichzeitig strahlen die wachen Augen Neugierde und fast kindliche Naivität aus.

Kaum zu fassen, dass um die kleine, zierliche Frau, die am Stock gehen muss, so viel Aufhebens gemacht wird. Der Ausflug sollte doch bloß eine Abwechslung für die Jugendlichen werden

„Die ersten Schüler sind noch zu mir nach Ara gekommen“, erzählt sie. Um den Jugendlichen die umständliche Anreise und die Kontrollen zu ersparen, nimmt sie sich eine Wohnung im „Muchajem“, wo sie regelmäßig drei bis vier Tage in der Woche zum Unterrichten verbringt. Umgerechnet 100 Euro zahlt sie an Miete, das ist viel für die Frührentnerin, die von insgesamt 500 Euro monatlich lebt. „Ich bekomme kein Geld von niemandem“, ruft sie stolz. Den Unterricht erteilt sie ehrenamtlich und die meisten Instrumente stellt sie auch selbst. Ihre gesamte Abfindung vom israelischen Erziehungsministerium, rund 35.000 Euro, sind in das Projekt geflossen.

„Wenn jetzt eine Spende käme, würde ich davon die psychologische Behandlung für Sbeidi bezahlen“, lacht sie und will sich keine Angst machen lassen. Nicht genug mit der Auflösung des Orchesters. Ihr wird auch Kollaboration mit dem israelischen Geheimdienst vorgeworfen. Noch in der Nacht der Orchesterauflösung hat Sbeidi angeblich unerwünschten Besuch vom israelischen Geheimdienst bekommen.

Der Auftritt vor den Holocaust-Überlebenden ist nicht der erste „Fehltritt“ der Orchesterleiterin. Vor gut einem Jahr holte sie ihre palästinensischen Musiker in ihr Heimatdorf Ara, um ein Konzert für die Befreiung der Inhaftierten zu geben. „Aller Inhaftierten“, wie sie betont. Neben den Bildern von drei israelischen Soldaten, die man damals in Geiselhaft glaubte, forderte ein großes Plakat die Entlassung der palästinensischen Häftlinge.

Wafa breitet ein T-Shirt aus, das die Kinder während des Konzerts in dem Altersheim trugen: „Der Tag der guten Taten“ steht dort auf Hebräisch. „Freiheit für Schalit“, hat es Sbeidi den Eltern der Musiker in Dschenin falsch übersetzt. „Das ist doch unerhört!“, schimpft sie über diese Lüge. Tatsächlich kennt Wafa den Vater des vermissten Soldaten. „Sbeidi baut Mauern auf“, sagt Wafa, „zwischen Juden und Muslimen und auch zwischen den Palästinensern im Westjordanland und denen in Israel.“

Die kulturellen Unterschiede auf beiden Seiten der Trennanlagen werden ständig größer. „Man muss die Leute respektieren“, sagt Wafa. Wenn sie ins „Muchajem“ fährt, wird das Tuch fest um den Kopf gebunden, nicht so nachlässig, wie sie es zu Hause in Ara trägt, wo die Leute schon gewohnt sind, dass es ihr immer vom Kopf rutscht, wenn sie, auf den Stock gestützt, die paar Schritte zu ihrem Musikstudio humpelt. Gleich neben der Moschee liegt es, im ersten Stock eines Mietshauses. Eine Nachbarin winkt ihr freundlich zu und fragt, was es Neues gibt. „Die Leute hier sind auf meiner Seite“, flüstert Wafa. In Ara hält sie niemand für eine Spionin.

Bevölkerungsanteil: Araber oder Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft machen rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Sie leben verteilt in Städten und häufig im Norden des Landes, in Galiläa. Die größte Minderheit Israels ist zerrissen zwischen An Walpurgis der Solidarität zum eigenen Volk und der Loyalität zu dem Staat, in dem sie leben. Da die arabische Bevölkerung im Gegensatz zur Restbevölkerung Israels sehr kinderreich ist, wird erwartet, dass der Anteil israelischer Araber an der Gesamtbevölkerung Israels deutlich steigen wird.

■ Soziale Lage: Die arabische Bevölkerung wird benachteiligt. Es gibt in den arabischen Ortschaften deutlich mehr Arbeitslosigkeit, zudem sind einige Ortschaften bis heute nicht anerkannt und haben deshalb keine Strom- und Wasserversorgung.

■ Politische Vertretung: Die israelischen Araber sind in der Knesset (Parlament) durch zwei Parteien, die Vereinigte Arabische Liste sowie Balad, vertreten.

■ Besonderheiten: Für arabische Israelis besteht keine Wehrpflicht. Daraus können sich Nachteile für das Berufsleben ergeben.

In dem galiläischen Dorf lässt es sich gut leben, auch für eine geschiedene arabische Frau. Die Musiklehrerin wird trotz ihres ungewöhnlich emanzipierten Lebenswandels zu Hause hoch geachtet. Das kleine Orchester aus Ara beschert dem Dorf bescheidenen Ruhm. Wafa wohnt zusammen mit ihrer 24-jährigen Tochter in einem Haus der Großfamilie, dahinter liegt ein wilder Garten voller Obstbäume. Die Idylle in ihrem Dorf und die größere Freiheit als Frau würde Wafa aufgeben, wenn sie für immer nach Dschenin gehen könnte, wo Computer, Fernsehen und Konsum noch keine so tiefen Spuren hinterlassen haben.

„Ich vermisse die Kinder“, sagt sie traurig und zeigt auf die Fotos an der Wand in ihrem Studio. Auf einem Bild steht sie Arm in Arm mit Daniel Barenboim, ein anderes zeigt sie mit dem israelischen Expräsidenten Mosche Katzaw. Auf den Notenständern sind die verschiedenen Stimmen eines Stücks von Umm Kulthum aufgeschlagen. „Sieh mal hier“, sagt sie und holt ein Foto von der Wand. „Das ist Sbeidis Sohn.“ Das Bild zeigt Wafa, wie sie einen vielleicht achtjährigen Jungen auf ihren Armen hält.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas alias Abu Masen „muss eine Untersuchung anordnen“, wünscht sie. Er soll sie von dem Vorwurf der Kollaboration befreien. Wafa setzt ihre Hoffnung auf ihre Verbindungen zu Fatah-Funktionären in Ramallah, die ihre Arbeit immer geschätzt haben und jetzt die Parteigenossen aus Dschenin zur Räson bringen sollen. Wenn weder die Partei noch Abbas helfen können, will sie einen unabhängigen Anwalt engagieren, keinen Israeli und keinen Palästinenser. „Ich gebe nicht auf, bevor ich zu meinem Orchester zurückkann“, sagt Wafa. „Ich bin eine Kämpferin.“