PETER AHRENS über PROVINZ
: Hier ist Liz Hurley, dort ist Olaf Scholz

Vergesst Berlin. Warum Hamburg in allen Belangen überragt – zumindest wenn der SPD-Geschäftsführer verreist ist

„Warum wolltet ihr eigentlich nie Hauptstadt werden?“, hat mich mein Freund Jörg letztens gefragt, während wir gemeinsam der Elbe dabei zugeschaut haben, wie sie winterlich wurde. Da Jörg aus Bonn stammt, darf er eine solche Frage stellen, ohne überheblich zu wirken. Das Verlierer-Odium steht ihm sozusagen ins Gesicht geschrieben, und außerdem weiß ich ihn qua Herkunft einig in der gemeinsamen Abneigung gegen das, was sich heute Hauptstadt nennt.

Tja, warum eigentlich nicht? Freie und Hauptstadt Hamburg klingt nicht so übel, und gerade in diesen Tagen haben wir im Norden gegenüber Berlin gleich mehrfach die Nase vorn. Wir machen den Test.

Dass unsere offiziöse Weihnachtstanne nur ein ganz kleines bisschen nadelt und außerdem aus Trondheim kommt, was gegenüber Sauerland geradezu verwegen international klingt, sei hier nur am Rande erwähnt. Und auch jedes Spottwort über Hertha und jenen dauervergrätzten „Aufgeben-kennt-ein-Huub-Stevens-nicht“-Limburger käme allzu billigem Triumphe gleich. Sehr unhanseatisch.

Aber nur zum Beispiel unsere Jungakademiker: Während im Berlin dieser Tage allmorgendlich irgendein Senator in seinem Büro schon einen langhaarigen Studenten an seinem Schreibtisch sitzend vorfindet, bleiben unsere Studierenden, wie es sich gehört, hinter dem warmen Ofen sitzen und büffeln für ihre Seminararbeiten.

Gestern belauschte ich zufällig zwei Spezies unseres wissenschaftlichen Nachwuchses, als sie sich am Dammtorbahnhof an der Ampel unterhielten:

„Und wie ist dein Tagesablauf morgen? Lernen, lernen?“

„Na, klar. Und bei dir?“

„Dasselbe, logisch.“

Es dürfte angesichts solcher Dialogstrukturen klar sein: Wenn in fünf Jahren die Berliner Studenten morgens unausgeschlafen in irgendwelche Chefbüros kommen, finden sie dort bereits einen ausgelernten kurzhaarigen Hamburger Eleven vor, der ihnen ihren Praktikumsplatz zuweist, bevor er sich zum Alstersegeln aufmacht.

Oder noch ein Beispiel: Events. Die wöchentlichen Gesprächsschauen mit Frau Kollegin Illner oder Frau Christiansen überlassen wir zurzeit durchaus gern und ohne Anflug von Neid der Nachbarstadt, alldieweil sichergegangen werden kann, dass Olaf Scholz während dieser Zeit nicht in Hamburg weilt. Wir halten uns unterdessen mit der Bambi-Verleihung schadlos und schmücken uns lieber mit Personal wie Liz Hurley oder Heidi Klum. Muhammad Ali erwäh- ne ich jetzt nicht noch gesondert, den gibt es schließlich mittlerweile bei jedem kleinen Betriebsfest, bei dem Michail Gorbatschow aus Termingründen leider absagen musste, als Dreingabe zum kalten Buffet hinzu. Damit es bei einer solchen Feier auch ein bisschen menschelt. Daran denkt eine gute Marketing-Abteilung schon.

Überhaupt das Menschliche: Der Bambi in der Vorwoche im Musicalzelt am Hafen hat ja auch die noch gegenwärtige Hauptstadtpresse nicht unbeeindruckt gelassen. Nehmen wir nur mal die Gesellschaftsreporterin vom Tagesspiegel. Wobei man wissen muss, dass Gesellschaft in den Qualitätsblättern gern verschämt als Synonym für Klatsch verwendet wird. Die Reporterin schwärmte aus Berlin angereist vom „völlig unverbrauchten Domina-Charme“ der Hamburger Security-Leute beim Einlass, die aussahen „wie frisch von der Reeperbahn rekrutiert“.

Weil der weltgewandte Hamburger Senat um solche wohlfeile Gelegenheiten weiß, Bonuspunkte zu sammeln, hat er für alle Gesellschaftsreporterinnen dieser Welt noch ein Schmankerl in petto: Demnächst soll die Zusammenarbeit der hamburgischen mit der chinesischen Polizei vertieft werden, wurde kürzlich aus der Innenbehörde kolportiert. Wenn der Rathausmarkt zum Platz des Himmlischen Friedens umgetauft wird, dürfte Berlin endgültig auf die Verliererstraße geraten sein.

Es sei denn, die Hauptstadt reaktiviert angesichts ihrer rumorenden Studentenschaft noch mal den Polizisten Kurras. Erst dann ist wieder Waffengleichheit hergestellt.

Fotohinweis: PETER AHRENS PROVINZ Fragen zu Provinz? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER