PRESS „STOP“

Das Problem, das ich mit dem Walkman habe, ist mit mir erwachsen geworden. Es hat aber nichts mit Hören zu tun, sondern mit Sehen: Ich kann Walkman hörende Menschen nicht mehr sehen. Zum Beispiel die Schülerinnen, die mir morgens in der U-Bahn gegenüber sitzen. Ihre Augen verstecken sich hinter Balken von schwarzem Kajal, das Gesicht verschwindet hinter dicken Wollschals. Aus ihren Walkmans plärrt es undefinierbar, wahrscheinlich hören sie „The Rasmus“ und „Juli“.

Ob es sich dabei um gute oder schlechte, angesagte oder abgemeldete Musik handelt, ist völlig egal. Hauptsache: „ihre“ Musik. „Ihre“ Musik ist die, die sie erst allein in ihrem Zimmer hören. Und die sie dann in die U-Bahn und in die Schule mitnehmen müssen, weil sonst ein wichtiger Teil von ihnen in ihrem Zimmer zurückbliebe.

So jedenfalls habe ich als Teenagerin funktioniert. „Meine“ Musik musste immer dabei sein. Wichtiger als die Frage, wie ich zu Schule, Freunden und Kino kommen könnte, war: was ich dabei hören könnte. Ich nahm mir meine Platten auf Kassette auf, damit ich sie auch unterwegs hören konnte. Die Aufnahmen von damals beginnen übrigens alle mit einem ziemlich lauten Plumps-Geräusch – das ist die Nadel beim Aufsetzen auf die Schallplatte gewesen. Irgendwann hatte ich auch raus, wie man die Aufnahme genau in dem Moment startet, in dem die Nadel in die Tonspur gleitet. Aber da hatte ich meinen Walkman eigentlich auch schon ausrangiert.

Lang war Musikgeschmack die Krücke, auf die sich mein mühsam zusammengekratztes bisschen Identität und Individualismus stützte. Diese Zeit ist zum Glück vorbei. Ich trage keine Band-T-Shirts mehr, und selbst wenn ich eine Leder-Federmappe hätte, würde ich den Namen meiner Lieblingsband nicht draufschreiben. Aus denselben Gründen habe ich auch keinen Walkman mehr. Heute höre ich genauso viel Musik wie damals. Aber dort, wo ich das richtige Abspielgerät für sie habe und wo sie am besten klingt: zu Hause. HANNAH PILARCZYK