Gewerkschafter campieren für Tarifautonomie

Mahnwache vor SPD-Zentrale. Einigung im Vermittlungsausschuss absehbar: Union verzichtet auf neues Gesetz

BERLIN taz ■ Der Protest gegen die SPD beginnt gleich vor der Tür ihrer Parteizentrale. Mit einer Mahnwache vor dem Willy-Brandt-Haus in Berlin demonstrieren die Gewerkschaften seit gestern gegen eine mögliche Lockerung der Tarifautonomie – bis Freitag, im Zelt, rund um die Uhr.

„Wer die Tarifautonomie zum Gegenstand von Verhandlungen macht, bricht die letzten Brücken zur Gewerkschaftsbewegung ab“, warnte Günther Waschkuhn, Vizebezirksleiter der Dienstleistungsgesellschaft Verdi in Berlin-Brandenburg, die Sozialdemokraten zum Auftakt der Aktion vor einem Eingehen auf die Vorschläge der Union im Vermittlungsausschuss.

Auch in Wolfsburg protestierten gestern Nachmittag nach Angaben der IG Metall rund 25.000 VW-Angestellte gegen eine gesetzliche Lockerung der Tarifautonomie, wie sie die CDU bislang im Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag verfochten hat. Der bayerische DGB-Chef Fritz Schösser kündigte für den Dezember etwa 150 Kundgebungen gegen die Aushebelung der Tarifautonomie an. Er will insgesamt rund 250.000 Arbeitnehmer mobilisieren.

Die Union rückt angesichts der breiten Ablehnung bereits von ihrem Vorschlag ab. Bisher hatte die CDU die Lockerung der Tarifautonomie als Bedingung für eine Einigung im Vermittlungsausschuss genannt. Nun signalisierte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel auf dem Parteitag in Leipzig Kompromissbereitschaft. Sie rief die Tarifparteien dazu auf, selbst Vorschläge für betriebliche Bündnisse zu entwickeln – und entschärfte damit indirekt die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung.

Ursprünglich wollte die Union Abweichungen vom Flächentarif per Gesetz ermöglichen. So genannte betriebliche Bündnisse von Arbeitgebern und Betriebsräten sollten auch ohne Zustimmung der Gewerkschaften Löhne unter Tarif, längere Arbeitszeiten oder Kürzungen beim Urlaubsgeld vereinbaren können. Die Gewerkschaften betrachten das als einen Verstoß gegen die von der Verfassung garantierte Koalitionsfreiheit.

FDP-Chef Guido Westerwelle warnte die CDU am Montag in Berlin vor Zugeständnissen an das „Tarifkartell“ aus Arbeitgebern und Gewerkschaften. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ludwig Stiegler begrüßte dagegen den Kurswechsel der CDU-Spitze. „Das ist für das Verhandlungsklima sehr hilfreich“, sagte Stiegler, der für die SPD im Vermittlungsausschuss sitzt, der taz. Gegen eine Lockerung der Tarifbeziehungen sprach sich Stiegler entschieden aus: „Die Tarifautonomie ist für uns kein Verhandlungsgegenstand.“ Beim Kündigungsschutz sei die SPD dagegen „flexibler“. Die Arbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“ des Vermittlungsausschusses setzt ihre Verhandlungen am heutigen Dienstag fort.

Den Gewerkschaftern in Berlin würde ein Verzicht auf eine gesetzliche Regelung eine weitere Woche Camping bei winterlichen Temperaturen ersparen: Ab Freitag ist diee Fortsetzung der Mahnwache vor der Parteizentrale der CDU geplant.

ANDREAS SPANNBAUER