Aufstieg und Fall eines Sklaven

Die Lebensgeschichte des Sklavenbefreiers Toussaint Louverture spiegelt Frankreichs widersprüchliches Bekenntnis zu Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auch für die Sklaven: zunächst politische Karriere in der karibischen Kolonie, dann Gefängnis

von DOROTHEA HAHN

Das Baby Toussaint hat keinen Familiennamen. Und keine Rechte. Irgendwann im Jahr 1743 kommt es in einer Hütte in Bréda in der Kolonie Saint-Domingue zur Welt. Es ist schwarz. Wie die Pflanzen, der Boden und die Gebäude gehört es dem Besitzer der Zuckerrohrplantage. Ein Sklavenkind. Ein halbes Jahrhundert später wird es ein Held. An der Spitze einer Armee von Sklaven zwingt Toussaint die Militärmacht Frankreich in die Knie.

Im 18. Jahrhundert ist Saint- Domingue die reichste Kolonie Frankreichs. Sie produziert mehr als die Hälfte des Kaffees weltweit und mehr Zucker als alle anderen Antillen-Inseln. 30.000 Weiße herrschen uneingeschränkt. Die halbe Million schwarzer Sklaven halten sie getreu dem französischen „Code noir“ – Schwarzengesetzbuch – unter Kontrolle: Wenn ein Sklave einen Fluchtversuch wagt, brennt ihm sein Herr ein Zeichen in die Schulter. Beim zweiten Versuch schneidet er ihm eine Kniekehle durch. Beim dritten Mal bringt er ihn um.

Zwischen den Weißen und den Schwarzen stehen 50.000 Mulatten– Mischlinge, die aus Beziehungen zwischen Herren und Sklavinnen hervorgegangen sind. Die Mulatten haben zwar eigene Plantagen und eigene Sklaven, aber weniger Rechte als die Weißen.

Der schmächtige Toussaint wird „Haussklave“ in Bréda. Gegenüber den Sklaven in der Zuckerrohrplantage ist er damit privilegiert. Er lernt lesen und schreiben. Als er Mitte dreißig ist, „schenkt“ ihm sein Herr die Freiheit. Der befreite Sklave bekommt ein kleines Stück Land und Sklaven, die es bearbeiten.

Saint-Domingue gerät in Aufruhr, als die Revolutionäre in der Métropole das 8.000 Kilometer entfernte Paris erobern. Im Revolutionsjahr 1789 verlangen die Weißen in der Kolonie die volle Handelsfreiheit – sie wollen nicht nur mit Frankreich, sondern mit allen Ländern Geschäfte machen. Die Mulatten verlangen die Gleichstellung mit den Weißen. Die Schwarzen die Freiheit.

Die Revolutionäre in Paris entscheiden sich gegen die Sklaven und für die Mulatten. Auf diese dehnen sie ihre Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aus. Als Gegenleistung versprechen die Mulatten: „Einen Aufstand der Schwarzen werden wir an der Seite unserer weißen Brüder bekämpfen.“

Der Aufstand beginnt mit einer Voodoo-Zeremonie im Caïman-Wald in der Nacht vom 21. zum 22. August 1791. Nach vier Tagen sind mehr als 1.000 Weiße erstochen. Die meisten anderen sind auf der Flucht. Hunderte Plantagen und Zuckersiedereien sind zerstört. Auf Posten längs der Wege sind Köpfe von ermordeten Schwarzen aufgespießt.

Toussaint hat nicht an der Voodoo-Zeremonie teilgenommen. Wie und wann der befreite Sklave, der eine Frau und zwei Kinder hat, zu den Aufständischen stößt, ist unbekannt. Fest steht, dass er Monate später Kommandant einer Armee von 3.000 Schwarzen wird. Er hat sich von der feindlichen Kolonialmacht Spanien anwerben lassen. Von ihrer Inselhälfte aus kämpft er unter der Flagge des spanischen Königs gegen die französische Republik und für die Befreiung der Sklaven.

1794 gibt der Konvent in Paris den Aufständischen recht. Er schafft die Sklaverei „in allen französischen Kolonien“ ab. Es ist das erste Mal, dass eine Kolonialmacht das tut. Die europäischen Gegenspieler – vor allem Spanien, England und Holland – reagieren wütend. Sie wollen eine Ausweitung der neuen Freiheit auf ihre Kolonien verhindern.

Für Toussaint ist die Pariser Entscheidung das Signal zur Rückkehr unter die französische Fahne. Der spanische Kommandant wird französischer General.

Toussaint beginnt eine steile Karriere. Zurück in Saint-Domingue kämpft er an vielen Fronten: Er vertreibt die Engländer und Spanier. Er schlägt einen Aufstand der Mulatten nieder. Er hält seine schwarzen Landsleute in Schach, die von Frankreich unabhängig werden wollen: Nach einer Revolte lässt er 13 Schwarze füsilieren. An Stelle der abgeschafften Sklaverei führt Toussaint Louverture die „Zwangsarbeit“ ein. Das soll die zum Stillstand gekommene Plantagenwirtschaft in Gang bringen.

Paris belohnt Toussaint Louverture und macht ihn zum ersten schwarzen Generalgouverneur einer französischen Kolonie. Er schreibt sich eine „Verfassung“. Darin gewährt er sich seinen eigenen Posten auf Lebenszeit. Aber am Zusammenhalt mit Frankreich hält er fest.

In der Métropole hat sich unterdessen ein anderer General an die Macht geputscht. Napoléon Bonaparte misstraut dem schwarzen General in der Kolonie. Außerdem will er wieder Sklaven haben. Die radikalen Revolutionäre können den Rückschritt nicht mehr verhindern. Die meisten sind unter der Guillotine gestorben.

1802 führt Napoléon den Sklavenhandel wieder ein. Im selben Jahr schickt er eine Militärexpedition nach Saint-Domingue, um die alte Ordnung wiederherzustellen. Toussaint Louverture wird zu einer Unterredung auf die Fregatte „La Créole“ geladen. „Die Weißen brauchen den Rat des alten Negers“, glaubt er. Tatsächlich wird er in die Metropole deportiert. Es ist seine letzte Reise. „Ihr habt nur den Stamm der Freiheit der Neger abgeschlagen“, sagt der 60-Jährige seinen Häschern, die ihm die Uniform als französischer General abnehmen, „aber die Wurzeln sind stark und tief. Sie werden nachwachsen.“ Er soll recht behalten.

Als Toussaint Louverture am 7. April 1803 in seiner Gefängniszelle in der Festung Joux stirbt, herrscht Krieg in Saint-Domingue. Wenig später erleidet Napoléon dort seine erste schwere Niederlage. Am 1. Januar 2004 wird die Kolonie unabhängig. Fortan heißt sie „Haiti“ – Land der Berge. Von den mehr als 30.000 französischen Soldaten überleben nur 2.000 die Guerillakämpfe und das Gelbfieber.

„Saint-Domingue war mein schwerster Verwaltungsfehler“, stellt Napoléon gegen Ende seines Lebens fest, als er selbst in Festungshaft auf Sankt Helena sitzt: „Ich hätte die schwarzen Chefs als Provinzbehörden behandeln sollen – mit Toussaint Louverture als Vizekönig.“