Durchhalteparolen

Romantisch, authentisch und laut: Die Kölner Band Klee spielte im Magnet

Es waren andere Zeiten. 1997 hießen Klee noch Ralley und sangen über Zelten gehen und Tom Selleck. Als sie damals in Potsdam spielten, hüpften in der ersten Reihe kleine Jungs mit Kassengestellen vor der Sängerin Suzie Kerstgens auf und ab und präsentierten stolz ihre T-Shirts, auf die sie in leichter Abwandlung des einzigen Hits, den die Kölner Band damals hatte, ihre Vorstellung vom Glück jenes Sommers gedruckt hatten: „Küss mich, Suzie!“

Dann wurde es ernst. Die Leichtigkeit war dahin, und die Anmutung der ewigen Jugend wich dem unangenehmen Gefühl, erwachsen zu werden. Ralley erlebten in dieser Zeit ihre ganz persönliche Tragödie, einen Unfall mit dem Bandbus, und machten unter dem Namen Klee einen neuen Anfang. Das erste Album trug mit „Unverwundbar“ zwar einen optimistischen Titel, schlug allerdings gleich wehmütige Töne an: „Erinner dich / an die Zeit, als alles noch neu war“.

„Erinner dich“ spielen sie gleich am Anfang ihres Abends im Magnet, und Suzie Kerstgens singt mit einem Hauch von Marilyn Manson in der Stimme: „Gestern ist tot, Gegenwart ist heute“. Darum haben Klee ihr zweites Album „Jelängerjelieber“ genannt, nach der Heilpflanze, die Menschen von ihrer Sehnsucht nach der Vergangenheit heilen soll. Musikalisch wird dieser Wandel nicht ganz so subtil vollzogen. „Jelängerjelieber“ hat weniger verträumte Computer und mehr laute Gitarren.

Diese Mischung aus englischen Stahlsaiten und deutscher Gegenwartsliebe liegt im Trend. Auf den Punkt bringt das der junge Mann, der sich während des Konzerts unentwegt mit einer Kamera zu schaffen macht. Als die Band ihn bittet, sich doch dem Publikum kurz vorzustellen, sagt er, dass er „der Markus“ sei und für die Deutsche Welle „ein Feature über Deutschrock“ drehe. Da ist es heraus, das böse Wort, das man vor zwanzig Jahren für Bap und andere Grenzfälle des guten Geschmacks verwendete – und das nun anscheinend wieder salonfähig geworden ist: „Irgendwo in Deutschland“ oder „Deutschstunde“ lauten die Titel diverser Kompilationen, auf denen neben Wir sind Helden und 2raumwohnung auch Klee regelmäßig vertreten sind.

Die engagierten Rezensenten von Intro oder Spex wirken bereits etwas hilflos bei ihren Versuchen, in diesem Durcheinander noch Grenzen ziehen zu wollen, zumal Silbermond oder Yvonne Catterfeld ebenfalls in den Tracklistings auftauchen. Mit ihrem Hang zum sozialdemokratischen Kitsch machen Klee es ihren Kritikern nicht leichter. In ihren Liedern träumen sie von „Liebe, Lust und Leidenschaft“, singen „für alle die, die romantisch und voller Mut für den einen Tag leben“, und verkaufen genau wie Wir sind Helden mit flott gereimten Durchhalteparolen die gute alte Illusion vom richtigen Leben im falschen.

Es funktioniert trotzdem. Trotz Suzie Kerstgens’ atemberaubend naiven und quälend langen Zwischenmoderationen zu Themen wie „Liebe“, „handgemachte Musik“ und „Sinn des Lebens“ gelingt es Klee, das Publikum nach einer kurzen Schrecksekunde immer wieder zum Tanzen zu bringen. Das große Geheimnis dieser Band, davon überzeugt ihr Konzert, besteht offenbar darin, an jedes Wort und jede Note selbst zu glauben. „Persönliche Integrität“ nennt man so etwas, und wenn diese Formulierung nicht genau die gleichen peinlichen Untertöne hätte wie die Rede vom so genannten Deutschrock, könnte man auch sagen, dass hier jemand „authentisch“ wirkt.

Am Ende des Konzerts geht Suzie auf jeden Fall noch einmal zum Bühnenrand, zu dem kleinen Mann mit Bart, der genau wie damals auf dem legendären „Küss mich“-Konzert in Potsdam die ganze Zeit getanzt hat, und gibt ihm zum Abschied die Hand. Er lächelt. So sieht das Glück in diesem Herbst aus.

KOLJA MENSING