Ein Traum, der längst keiner mehr war

In Frankfurt/Oder glaubten die Menschen nicht mehr an die Chipfabrik. Deshalb hält sich die Enttäuschung über ihr Scheitern in Grenzen. Die Stadtpolitiker sind überrascht. Das müssen sie auch sein. Sonst könnten sie anderen nicht die Schuld geben

AUS FRANKFURT/ODER DANIEL SCHULZ

Frankfurts geplatzte Träume sind ein einsamer Ort. Die Gerüste rund um die graue Chipfabrik stehen noch. Aber dicker Dunst lässt den wuchtigen Betonkoloss auf braunem Acker schon verschwinden.

„Tja, nun ist es vorbei“, sagt eine alte Frau in der Straßenbahn Nummer 4 und wirft einen Blick durch die Fenster auf den Klotz im Nebel. Bedauernd klingt es nicht. Einen Tag zuvor hat der Bürgschaftsausschuss entschieden: Die Chipfabrik wird nicht weitergebaut. Zu wenige Investoren wollten Geld geben, 80 Prozent der nötigen 1 Milliarde Euro sollten aus öffentlicher Hand kommen. Von Stadt, Land, Europäischer Union. Lächelnd sagt die Frau: „Wirklich daran geglaubt haben die Menschen doch nicht mehr.“ Frankfurt hat 1.000 Arbeitsplätze verloren. Frankfurt hat sein großes Ziel verloren. Frankfurt ist nicht enttäuscht.

„Es ist zwar ein Schlag“, sagt Stefan Hoffmann. „Viele haben sich aber darauf eingestellt, dass das Projekt scheitert.“ Der 34-Jährige, der im Uhrenladen seiner Elter arbeitet, meint, es habe einfach zu viele Schwierigkeiten gegeben. Fast 9.000 Menschen arbeiteten zu DDR-Zeiten im alten Halbleiterwerk. Nach der Wende wurden daraus Firmen wie Sim und Simi, die bald in Konkurs gingen. Als der damalige Minsterpräsident Manfred Stolpe (SPD) 2001 die Chipfabrik versprach, wollten ihm die Frankfurter nicht recht glauben. „Später war die Stimmung super“, so Hoffmann.

Doch dann kamen immer wieder Baustopps, die Investoren blieben aus. Dann das Gerangel um die Bürgschaft, als die Vertreter der Bundesregierung härtere Auflagen festsetzten. „Die Leute haben sich an den Gedanken gewöhnt, dass es nicht klappt“, sagt Hoffmann.

Gelassen kauft Frankfurt deshalb weiter Chipbrötchen beim Bäcker nebenan. Das Backwerk mit zwei Henkeln kostet 39 Cent. „Unsere Kunden lieben die Brötchen“, sagt die Frau hinter der Kasse. „Und sie haben mit dem Ende gerechnet. Sie kommen ja nicht von einem anderen Stern.“

Auf dem steht allein das Rathaus. Obwohl nur ein paar Meter von der Bäckerei enfernt, sieht die Welt von dort ganz anders aus. „Ich bin wütend und überrascht“, sagt Oberbürgermeister Martin Patzelt (CDU). Entsprechend finster blickt die Runde, die sich am Beratungstisch versammelt hat.

Die Parteien des Stadtparlaments haben sechs Männer und eine Frau ausgesandt, die beraten sollen, wie es weitergeht. Brandenburgs Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) ist da und redet mit beruhigender Stimme von „gemeinsamen Anstrengungen“, die man jetzt unternehmen müsse. Die Runde hebt die Köpfe, guckt wieder nach unten. Neben Junghanns sitzt Patzelt, die Hände flach auf dem Tisch wie ein Schuljunge. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht“, sagt er schnell. „Uns trifft keine Schuld.“ Beifälliges Murmeln. „Auch wir haben alles versucht“, erklärt Junghanns. Wer schuld ist, steht am grünen Stacheldrahtzaun der Chipfabrik. Patzelt und die anderen Stadtpolitiker haben ein riesiges Plakat daran geheftet. In schwarzen Buchstaben steht dort: „Hier stirbt der Aufbau OST“ und dahinter in Rot: „Danke, Herr Bundeskanzler“.

Viele Frankfurter sehen das ebenso, andere schütteln den Kopf. „Die Fabrik war ein Pokerspiel“, sagt ein Experte. Schon 2003 habe die Stadt gewusst, dass das Geld nicht reichen könne. „Man hat gedacht, dass Berlin nicht mehr zurückkann, wenn der Bau einmal steht.“ Schuld hat allerdings nur einer: Manfred Stolpe. Der Bundesverkehrsminister ließ verlauten: „Ich habe die volle politische Verantwortung zu übernehmen.“