Dinos mit schusssicherer Weste

Die Urviecher der Vorgeschichte waren ihrer Zeit um Jahrhunderttausende voraus. Ein Bonner Paläontologe fand jetzt heraus: Die Panzerung von bestimmten Dinosauriern ähnelt in Stabilität und Gewicht hypermodernen Verbundwerkstoffen

AUS BONN HOLGER ELFES

Kinder sind von ihnen einfach begeistert. Und auch viele Erwachsene können sich der Faszination der Dinosaurier kaum entziehen, wie die immer wieder gern gezeigten Fernsehdokus über die Urviecher beweisen. Torsten Scheyer von der Uni Bonn aber ist auf dem besten Weg, seine Dino-Leidenschaft zum Beruf zu machen. Der Paläontologe hat gerade eine Diplomarbeit über die Panzerung der Dinosaurier vorgelegt. Manche Dinosaurier – das war schon länger bekannt – verfügten über einen harten Knochenpanzer ähnlich dem heutiger Krokodile oder Schildkröten. Und doch scheint der Aufbau dieser Rüstungen sehr viel komplizierter zu sein als bislang angenommen. Scheyer konnte nachweisen, dass einige Panzer frappierend heutigen Verbundwerkstoffen ähneln, wie sie beispielsweise in schusssicheren Westen eingesetzt werden. Andere Saurier hatten offenbar Panzer die noch erheblich dünner und leichter waren – bei vermutlich ähnlicher Stabilität.

Dinos waren rundum gerüstet; selbst ihre Augenlider bestanden aus Knochenplatten: Die so genannten Ankylosaurier zählen zu den am besten gepanzerten Tieren, die man kennt. Bis zu zehn Meter wurden die Pflanzenfresser lang, ihr Schwanz lief mitunter zu einer gewaltigen knöchernen Keule aus – „wahrscheinlich eine Waffe“, sagt Torsten Scheyer, „auch wenn sie sie mit Sicherheit nicht einfach hin- und herschwingen konnten; dazu war die Konstruktion einfach zu steif“. Scheyer hat in seiner Diplomarbeit die Panzerung der Urzeitechsen genauer untersucht – mit erstaunlichem Ergebnis: „Die Knochenplatten ähneln längst nicht so stark denen der Krokodile wie bislang angenommen“, sagt er. „Ihre Feinstruktur ist zumindest bei manchen Ankylosaurier-Gruppen erheblich komplizierter“.

So bestand ein komplettes Dino-Kettenhemd aus Hunderttausenden von knöchernen Panzerplatten, so genannten Osteodermen. Die meisten von ihnen waren kleiner als eine Ein-Cent-Münze, manche hatten aber auch einen Durchmesser von mehreren Dutzend Zentimetern und liefen in langen Spitzen aus. „Anders als bei der Schildkröte waren die einzelnen Platten nicht fest miteinander verschmolzen, sondern lagen nebeneinander in der Haut“, erklärt Scheyer. Eine solche Panzerung war flexibel und konnte unter Druck nicht so leicht zerbrechen. Heutige Krokodile tragen zwar eine ähnliche Rüstung; die einzelnen Knochenplatten sind bei ihnen aber weitaus simpler aufgebaut.

Unter dem Polarisationsmikroskop konnte Scheyer dann feststellen, dass in den Knochenkalk des Saurier-Panzers Kollagenfasern eingewebt waren, die dreidimensional ineinander verwobene Matten bildeten. Innerhalb jeder Matte verliefen die Fasern parallel, waren aber um 45 Grad gegenüber den umgebenden Matten verdreht. „Die Panzer erreichten so in jede Raumrichtung eine enorme Stabilität“, so der Doktorand. Nach ähnlichen Prinzipien sind heute die Verbundwerkstoffe aufgebaut, aus denen beispielsweise die Rotoren von Windkraftwerken oder schusssichere Westen bestehen – nur dass dort Glas- oder Kohlefasern an Stelle der Kollagenmatten treten. Kollagen ist ein Protein, aus dem beispielsweise Bindegewebe, Sehnen oder Knorpel aufgebaut sind. Die Knochenplatten bildeten sich bei den Ankylosauriern in der Bindegewebsschicht und umhüllten dabei das bestehende Kollagengeflecht. Bei der Fossilisation verwest dieses Geflecht und wird durch Mineralien ersetzt. „In den Versteinerungen sind die Faserverläufe häufig noch nach hunderten von Millionen Jahren zu erkennen“, sagt Scheyer.

Paläontologen unterteilen die Ankylosaurier in drei Untergruppen. Die Schusswesten-Struktur lässt sich nur bei einer davon nachweisen; eine zweite hat vergleichsweise einfach gebaute Panzerplatten. In der dritten Gruppe besteht die Rüstung paradoxerweise aus so genanntem „Havers‘schem Knochen“ – einer Form, die der britische Anatom Clopton Havers schon im 17. Jahrhundert beim Menschen beschrieb. Mit den Jahren baut sich der menschliche Knochen nämlich um; die Bälkchen im Knocheninnern lösen sich auf und werden durch zahlreiche Knochenröhrchen, so genannte Osteone, ersetzt. Das führt zu Stabilitätseinbußen und ist ein Grund für die sprichwörtlichen „morschen Knochen“ im Alter. „Derartige Osteone gibt es auch bei Ankylosauriern“, so Scheyer, „nur sind sie dort im Gegensatz zum Menschen wieder mit Fasern verstärkt.“ Eventuell sorgten die Kollagenfasern dafür, dass dieser dritte Panzertyp sogar noch stabiler ist als die „normale“ Ankylosaurierrüstung. „In dieser dritten Gruppe sind die Knochenplatten viel dünner als bei allen anderen Ankylosauriern – das spart Gewicht und Nährstoffe.“ Dennoch seien sie wohl nur schwer zu knacken gewesen – und zwar nicht nur aufgrund ihrer Faserverstärkung: „Diese dünnen Knochenplatten waren so raffiniert geformt, dass sie Druck viel besser aufnehmen konnten und nicht so schnell zerbrachen.“