Die deutsche Provinz ist überall

Ob im hintersten Polen, im tiefsten Afrika oder in den westlichsten USA: Christof Hamanns Roman „Fester“

Ein junger Mann reist im Auftrag einer deutschen Bäckereikette nach Krakau, um eine Broschüre über ein für diese Stadt typisches Gebäck namens Obwarzanki anzufertigen. Als Symbol für die kulturelle Annäherung Deutscher und Polen soll der krümelige Teigkringel im Bewusstsein deutscher Kunden so fest verankert werden wie französische Croissants oder amerikanische Muffins. Dass es sich dabei um ein jüdisches Gebäck handelt, wird lieber verschwiegen, es könnte verkaufsschädigend wirken. Doch schon auf den ersten Seiten befallen selbst den ökonomisch unbedarften Leser arge Zweifel am unternehmerischen Erfolg eines solchen Projekts. Lässt sich durch einen Prospekt über die Krakauer Innenstadt tatsächlich ein Bedürfnis nach polnischen Teigwaren erzeugen?

Auch im zweiten Teil des Buches geht es um eine an Absurdität kaum zu überbietende Geschäftsidee, nämlich deutsche Touristen mit so genannten Bierreisen, bei denen eine Brauerei als Sponsor auftritt, nach Afrika zu locken. Denn deutsche Biertrinker, so haben die Marktstrategen herausgefunden, säßen keineswegs nur hinter ihren Stammtischen: „Diese Menschen tragen Wünsche in sich, Sehnsüchte nach der Ferne.“ Spätestens jetzt wird klar, dass es sich bei „Fester“ um eine Satire handelt – eine Satire auf die wirtschaftliche und kulturelle Globalisierung, die uns polnische Semmeln als Exotik und Afrika als ein Stück Heimat, wo das Bier wie zu Hause schmeckt, verkaufen möchte.

Nach seinem viel gelobten Debüt „Seegfrörne“, das vom finsteren Geheimnis einer kleinen Gemeinde am Bodensee erzählte, blickt Christof Hamann nun über den Tellerrand der Provinz hinaus. Dreimal reist sein Held Georg Fester in die Fremde, nach Polen, Namibia und zuletzt an die Westküste der Vereinigten Staaten. Jedesmal wird er fernab der Heimat von einem Stück Deutschland eingeholt, verliert durch Alkohol oder Drogen das Bewusstsein und kommt am Ende ums Leben – oder hat er das nur geträumt? In seinem neuen Roman greift der 1966 geborene Autor, der beim diesjährigen Klagenfurter Wettbewerb Auszüge aus „Fester“ las, auf die erprobte Mischung aus realistischer Detailversessenheit und surrealistischen Elementen, aus Satire und poetischer Imagination zurück. Während das Rezept im überschaubaren provinziellen Rahmen mit seiner begrenzten Zahl von Personen und einer festumrissenen Handlung aufging, funktioniert es draußen in der großen weiten Welt nicht. Alles wollte Hamann anscheinend in das Buch hineinpacken: Vergangenheitsbewältigung und Globalisierungskritik, Konzentrationslager und Bierbäuche, New Yorker Kunstszene und Safari, gewürzt mit einer kleinen Prise Sex and Drugs. Da ein Leben und eine Reise für so viel Stoff nicht reichen, hat er beides kurzerhand mit drei multipliziert.

Bis zum Überdruss repetieren die einzelnen Episoden die gleichen Handlungsmuster und Erzählmotive, und doch entsteht daraus kein einheitliches Ganzes und schon gar kein Roman. So zerfasert und unstrukturiert die Geschichte in der Endlosschleife erscheint, so blass und konturlos bleibt der immer wieder zu neuem Leben erweckte Hauptprotagonist inmitten einer unüberschaubaren Zahl von Nebenfiguren auf ständig wechselnden Schauplätzen. Hinter der aufwendigen Konstruktion verbirgt sich indes eine vergleichsweise banale Erkenntnis: Die Welt ist eine Nussschale, ob im hintersten Polen, im tiefsten Afrika oder im westlichsten Westen, überall finden sich Spuren des hässlichen Deutschen. Da wäre man besser gleich in der Provinz geblieben. MARION LÜHE

Christof Hamann: „Fester“. Roman. Göttingen 2003, Steidl Verlag, 224 Seiten, 16 €