Sprinter im Marathonlauf

Mario Leis erzählt schöne Anekdoten aus der Geschichte des Sports. NS-Zeit und DDR interessieren ihn aber kaum

So mancher Sportler hätte gerne schon viel früher dieses Geheimwissen besessen. Zum Beispiel die deutsche Fußballnationalmannschaft, damit sie wieder mal gegen Weltklassegegner gewinnt. Oder Jan Ullrich, der mit diesem Zauberspruch zweifellos seinen Kontrahenten Lance Armstrong verstört und dann auch lässig besiegt hätte: „Borphorbabarborbabarphorbaborbaie.“ Von nun an darf man sich aber nicht wundern, wenn Sportler ihre Kontrahenten derart anorakeln. Denn was in der Antike funktioniert hat, kann man in der Jetztzeit zumindest mal ausprobieren.

Derlei Kurioses und Wissenswertes hat Mario Leis zusammengetragen für seine kleine Geschichte des Sports. Er beginnt bei den barbarischen Gladiatorenkämpfen der Römer und den rüden Wettkämpfen – den Agonen – der Griechen, die schließlich in die Olympischen Spiele mündeten. Schon früh war der Sport genau das, was er auch heute noch ist: das Messen körperlicher Kräfte, ein gesellschaftliches Spektakel und ein wissenschaftliches Forschungsgebiet. Bereits in der Antike wurden sorgfältige Trainings- und Bewegungslehren entwickelt oder drollige Drohungen formuliert, wie die des Philostratos im dritten Jahrhundert n. Chr.: „Kommt jemand vom Geschlechtsgenuss, so ist er besser nicht zu trainieren; denn wo bleibt die Männlichkeit bei denen, die für Kranz und Heroldsruf schnöde Wolllust eintauchen?“. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam in diesem Jahr übrigens der Sportmediziner Chris Goossens: Bei seiner Untersuchung an Fußballern stellte er fest, dass Sex vor dem Wettkampf die Leistung negativ beeinflusst.

Zügig hangelt sich Mario Leis weiter durch die Sportgeschichte vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Leider wählt er dazu eine stark dozierende Sprache, die regelmäßig den Eindruck erweckt, man lese ein Lexikon oder eine zum mündlichen Vortrag bestimmte Powerpoint-Präsentation. Kommen wir hierzu, schauen wir dorthin, brechen wir hier die Überlegung ab und gehen wieder zur Tagesordnung über … Bemerkenswert und anschaulich sind dagegen die Zitate und Anekdoten, die er ausgegraben hat. Tragisch-komisch, dass sich der französische König Karl VIII. auf dem Weg zum Tennisplatz 1498 den Kopf an einer Tür stieß und verstarb. Rührend, dass Goethe, den man sich nun gänzlich unsportlich vorstellt, in seinem Tagebuch notiert: „Abends Schwimmwams probirt.“ Und dass er versucht, seinen Liebeskummer durch Eislaufen zu lindern.

Weniger amüsant wird es im 20. Jahrhundert. Auch hier beschreibt Leis das Geschehen meist, in dem er Sekundärliteratur zitiert, so etwa zur Rolle des Sports im Nationalsozialismus. Dadurch stellt er komplexe und grundlegende Inhalte jedoch oberflächlich dar: die Instrumentalisierung des Sports für ideologische und militärische Zwecke, die Bedeutung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin, das Schicksal jüdischer Athleten – Mario Leis investiert dafür bloß zehn Seiten. Ähnlich fertigt der Autor die sportliche Vergangenheit im geteilten Deutschland ab. Allein die Tatsache, dass er nur vier Zeilen über das systematische Doping in der DDR verliert, belegt die Flüchtigkeit seiner Arbeit.

Im Grunde ist Leis in seinem Buch so etwas wie der Sprinter im Marathonlauf, dem zum Schluss immer mehr die Puste ausgeht. Es bedarf doch etwas mehr Training und Vorbereitung, um die Geschichte des Sports von der Antike bis heute zu schreiben – mit schnellen 192 Seiten kommt man nicht ins Ziel.

JUTTA HEESS

Mario Leis: „Sport. Eine kleine Geschichte“. Reclam, Leipzig 2003, 192 Seiten, 9,90 €