berliner szenen Nur Hakenkreuze fehlen

Geschichtsspaziergang

Einer dieser Spaziergänge, auf denen man über geschichtsträchtige Orte stolpert, führt von der Promenade am Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal zum Invalidenfriedhof. Wo heute junge Leute chillen, verlief früher die Berliner Mauer.

Umzingelt von Neubauhäusern mit Balkonblick auf den Potsdamer Platz steht sogar noch ein alter DDR-Grenzwachturm. Eine Mahntafel erinnert an den ersten „Republikflüchtling“, der hier 1961 beim Versuch, den Kanal zu durchschwimmen, erschossen wurde. Irgendwer hat neuerdings auch noch eine Schaufensterpuppe in eine Grenzeruniform gesteckt und in den Turm gestellt. Daneben hängt eine DDR-Flagge im Fenster.

Spätestens am Invalidenfriedhof liegen dann die Geschichtsspuren so dick übereinander, dass die Erinnerung an die ehemalige DDR-Grenze ganz von allein verblasst. Zwar steht mitten auf dem Friedhof ein Mauerrest, an dem weitere Gedenktafeln fast schon so tun, als herrsche noch der Kalte Krieg. Doch darum häufen sich restaurierte Gräber dekorierter „Kriegshelden“ von 1870/71, 1914–18 und 1939–45. Frische Blumen blühen auf NS-Generalsgrabsteinen. Und nachgezogene goldene Gravuren künden von einem Orden „Pour le Mérite“ hier, einem „1942 für das Vaterland gefallen“ dort. Nur die Hakenkreuze fehlen.

Daneben sind Massengräber von Opfern der Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg und Widerständlern des 20. Juli 1944 ausgeschildert. Und dann steht man plötzlich auch noch vor dem Grab Ernst Udets – jenes legendären Fliegers also, der Carl Zuckmayer zu seinem Erfolgsstück „Des Teufels General“ inspirierte. Fast jeder Quadratmeter erzählt hier eine halbe Bibliothek. Und auch die enthält nur die halbe Wahrheit. JAN SÜSELBECK