„Wir zeigen Alternativen auf“

Visionslose Politik und das arrogante Lächeln der Älteren: Die Bundessprecherin der Grünen Jugend, Kathrin Henneberger, über den Kampf, als junge Politikerin Gehör und Akzeptanz zu finden

KATHRIN HENNEBERGER, 22, Geografiestudentin, ist seit Mai 2008 in einer Doppelspitze Bundessprecherin der Grünen Jugend.

INTERVIEW INGO ARZT

taz: Frau Henneberger, die Grüne Jugend will eine Menge: Bedingungsloses Grundeinkommen, Stromkonzerne vergesellschaftlichen, Pro-Kopf-Emissionsrecht für alle Erdenbürger, kostenloser Nahverkehr, Verbot von Personenflügen im Inland, ein gerechteres, globales System. Wie oft sehen sie bei der älteren Generation dieses Lächeln: Stoßt ihr euch mit euren Visionen nur mal die Hörner ab?

Kathrin Henneberger: Das sehe ich ziemlich oft. Da lächle ich dann zurück und sage: Die letzten Jahrzehnte mit eurer visionslosen Politik hat uns die drei großen Krisen von heute beschert – die Klimakrise, die Nahrungsmittelkrise und die Wirtschaftskrise. Das neoliberale Wirtschaftssystem bringt es einfach nicht. Wir müssen jetzt unsere ganze Lebensweise überdenken. Hallo, wir sind eine Jugendbewegung. Wenn wir nicht visionär und radikal sind, wer denn dann?

Deprimiert es, wenn man sieht, wie passiv viele junge Menschen auf die Krise reagieren?

Viele realisieren kaum, was da auf uns zukommt und bereits im Gange ist. Erst wenn sich die Krise auf den privaten Bereich niederschlägt, werden auch mehr auf die Straße gehen. Menschen handeln eben erst, wenn es wehtut. Wie in der Klimakrise: Seit Jahrhunderten verfeuern wir die Ressourcen ohne darüber nachzudenken, was für Auswirkungen das hat.

Würden Sie sich wünschen, dass man lauter und radikaler wird, um als junge Menschen mit aktuellen Forderungen Gehör zu finden?

Auf jeden Fall. Ich sehe die Grüne Jugend als Teil einer neuen, kritischen Jugendbewegung, die sich seit dem G-8-Gipfel vor zwei Jahren in Heiligendamm formiert hat. Ich wünsche mir, dass wir noch lauter werden und ganz klar sagen: Leute, ihr fahrt gerade alles gegen die Wand, das ist unsere Zukunft und wir wollen das nicht. Die meisten jungen Menschen sitzen nicht in Parlamenten und haben auch keine Lobbygruppe. Das wollen wir ändern.

Fehlt nicht gerade jungen Menschen eine klare Botschaft? In Ihrem Programm ist kryptisch von einer „strukturellen Krise des Kapitalismus“ die Rede.

Wir müssen die jungen Leute abholen und ihnen zeigen, dass es um sie geht. Nehmen wir das Konjunkturprogramm. Da werden riesige Schulden aufgenommen, was wir dann später mal zahlen müssen. Und das Geld wird für die Abwrackprämie und die Renovierung von Schulgebäuden ausgegeben. Bildung muss aber viel mehr sein. Wir brauchen radikal neue Schulen, das Geld muss in Köpfe und Lehrer investiert werden.

Will die Grüne Jugend den Kapitalismus eigentlich abschaffen?

Ich finde es zu platt, zu sagen: Kapitalismus abschaffen, Punkt. Aber wir brauchen ein neues, faires und ökologisches System. Natürlich ist unser Programm keine Blaupause für eine bessere Welt. Aber wir wollen aufzeigen, wie Alternativen aussehen können.

An diesem Wochenende trifft sich die Grüne Jugend in Stuttgart, um ihre Forderungen und Ziele für die anstehende Bundestags- und Europawahl festzulegen. Die Jugendorganisation der Grünen verwendet als Symbol üblicherweise einen zornigen Igel. Der Bundesvorsitzender der Grünen, Cem Özdemir, wird am Sonnabend das Programm „Gerechtigkeit leben!“ der jungen Grünen präsentieren.Kathrin Henneberger ist in einer Doppelspitze mit dem 21-jährigen Max Löffler Bundessprecherin der Grünen Jugend. Die Grüne Jugend sieht drei Krisen: den Klimawandel, die Nahrungsmittelkrise in Verbindung mit einem globalen Verteilungsproblem sowie die Weltwirtschaftskrise. Schuld daran sei das System, das durch eine neue globale, sozial-ökologische Ordnung ersetzt werden soll. Die Grüne Jugend sieht sich als Teil eines Netzwerks von Organisationen, das gemeinsam für diese Ziele kämpft.

Wie oft tun sich alte Politiker mit Ihnen zusammen, um sich mit den Jungen und Radikalen zu schmücken?

Das habe ich bisher kaum erlebt. Es gibt viele Grünen-Politiker, die unsere Position teilen, mit denen arbeiten wir auch sehr stark zusammen. Von der Partei werden wir ernstgenommen. Wir streiten zwar für die Grünen, aber vor allem wollen wir junge Leute begeistern.

Auch mit dem Thema Europa? Auf der Liste der Grünen für die Europawahl stehen gleich drei aus der Grünen Jugend.

Bei jungen Menschen ist viel mehr Begeisterung für das Thema Europa vorhanden als bei den Älteren. Wir leben dieses Europa täglich und reisen viel rum, weil wir mit offenen Grenzen aufgewachsen sind. Aber für viele Menschen ist europäische Politik sehr weit weg. Das muss sich ändern. Den Menschen muss klar sein, dass die Europawahl so wichtig ist wie die Bundestagswahl.