Lebensziel dreckige Jeans

Die Südstaaten-Rocker „Kings of Leon“ leben nicht nur von ihren sämtlichen musikalischen Wurzeln ihrer Heimat Nashville, Tennessee. Sie haben auch die Gnade der späten Hippie-Geburt

von Volker Peschel

Löchrige Jacken, struppige Bärte, abgeklärte Blicke. Mit den Kings Of Leon aus Tennesse beehrt heute eine junge Band voller dünner, blasser Jungs Hamburg. In ihren dreckigen Blue Jeans durchstöbern sie munter die Historie des Rock‘n‘Roll und plündern sie so unbekümmert wie geschickt. Und während The Strokes gerne für ihre Upperclass-Herkunft angegangen werden, lässt diese Combo keinen Zweifel an einer hieb- und stichfesten Rocker-Vita: Hippie-Kindheit, Außenseiter-Jugend, Fickt-das-System-Karriere. Rapper und Rocker müssen bekanntlich aus dem Dreck kommen.

Bereits gestern war mit dem Black Rebel Motorcycle Club eine Band in der Stadt, die sich mit dem Klischee der Rebellion in einem weißen Wohlstands-Amerika schmückt. Steht doch deren Name für einen Archetypen dieses Charakterzuges: Marlon Brando und dessen Motorrad-Gang aus László Benedeks Film The Wild One von 1953. Heute nun tragen die Kings of Leon ihr Scherflein zum permanenten Widerstand gegen die amerikanische WASP-Seele bei.

Das Hüten und Pflegen dieser formvollendet unangepassten Musiker lohnt sich für Plattenfirmen, wenn bereits Debütalben noch vor Erscheinen als ganz heiße Ware gehandelt werden und sich dann mit Millionen-Auflage verkaufen. Eine solche Vorab-Hysterie schüttelten auch die Kings aus dem Ärmel. Blutjung sind die drei Brüder mit den biblischen Namen Caleb, Nathan und Jared Followill. Der Letztere spielt den Bass und ist gerade mal 16 Jahre alt. Ihr den Namen gebender Vater Leon war Wanderprediger und Althippie, der mit seiner Familie jahrelang durch die kargen Lande zog. Er wurde zum Alkoholiker, seine drei Jungen strampelten sich frei. Ein Cousin macht die Vierer-Familienband komplett.

Die Musik klingt ähnlich staubig wie ihre Heimat Nashville, Tennesse, und folglich greifen sie bei ihrer Plünderung des Rock‘n‘Roll-Wissens etwas weiter als der Black Rebel Motorcycle Club zurück. Neuzeitliches Gitarrengehabe gibt es bei den Bengels nicht, erdig und ehrlich wird hier in alter Tradition geschrammelt: Bluesrock, Südstaaten-Country, Bluegrass und Hillbilly. Die alte Schule eines Hank Williams und natürlich die Jugendtage der Rolling Stones. Ohne jedoch wie repetierende Schüler zu wirken. Denn auch Kings Of Leon nennen diese Mixtur aus bereits Dagewesenem ohne mit der Wimper zu zucken ihr Eigen – letztlich die Kern-Philosophie all der „The“-Bands, all der „Rock-Erneuerer“, all der Retro-Rocker.

Alles wirkt schwer hip, wie die zweite Welle nach dem großen Hype um junge Strokes-Stripes-Rocker, die sich ihre Unschuld bewahren wollen. Dass auch sie einmal überrollt werden, so wie es Mitte der Neunziger dem Grunge eines Kurt Cobain geschah, mag zu befürchten sein. Das Schöne jedoch ist: Es ist einfach noch kein Thema.

Wie kalkuliert jedoch auch das Geschäft mit der Rebellion ist, zeigt sich bei einem Blick auf die Verantwortlichen im Hintergrund. Die Kings Of Leon wurden wie auch The Strokes von Steve Ralbovsky für die Plattenindustrie entdeckt – er war auch schon für das Signing von den Funkbrüdern Red Hot Chili Peppers und den Weltschmerz-Grungern Pearl Jam zuständig.