Sanierer übergibt an Sanierer

Der scheidende Siemens-Chef Heinrich von Pierer vermeldet in seiner letzten Jahresbilanz einen Konzerngewinn von 3,4 Milliarden Euro. Trotzdem dürfte der Druck auf die Belegschaft steigen

von JÖRG SCHALLENBERG
und BEATE WILLMS

Bei seinem letzten großen Auftritt als Vorstandschef der Siemens AG zeigte sich Heinrich von Pierer gestern ganz gelöst. Und das mit gutem Grund: Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2004 steigerte der Konzern seinen Gewinn um satte 39 Prozent von 2,4 auf 3,4 Milliarden Euro.

Die Folgen der peinlichen Fehlkonstruktion der Niederflurstraßenbahn „Combino“ und der Rückrufaktion des Handys S65, dessen Software nicht funktionierte, hat Siemens also gut weggesteckt. Die Verluste der beiden Bereiche wurden durch Gewinne der übrigen 11 Sparten, unter denen die Automatisierungs- und die Medizintechnik besonders hervorstechen, mehr als ausgeglichen. Den Börsianern reichte das allerdings noch nicht. Und auch nicht, dass von Pierer ankündigte, die Dividende werde von 1,10 auf 1,25 Euro pro Anteilsschein angehoben – sie hatten eine Sonderdividende erhofft. Prompt büßten die Aktien etwas mehr als ein Prozent an Wert ein.

Dabei gibt es für die Anteilseigner eigentlich wenig Grund zur Klage. Vor allem in der zweiten Hälfte seiner 12-jährigen Amtszeit hat von Pierer den Konzern komplett umgekrempelt und ungeachtet aller konjunkturellen Schwankungen in sichere Gewinnzonen geführt. Oft genug eroberte er sich seine tiefschwarzen Zahlen allerdings auf dem Rücken der Belegschaft. Allein in den letzten Jahren baute Siemens rund 30.000 Arbeitsplätze ab. Mit der Drohung, Siemens könne im Ausland billiger produzieren, setzte der Vorstandschef zudem in diversen Sparten und Werken Mehrarbeit bei weniger Lohn durch. Als womöglich letzten Coup hat er die Diskussion um eine allgemeine 40-Stunden-Woche wieder angefacht.

Allerdings konnte von Pierer auch erfreulichere Erfolge verbuchen. Entgegen den Ratschlägen der meisten Finanzexperten trennte er sich nicht von der scheinbar wenig rentablen und unpopulären Sparte Medizintechnik, sondern führte sie qualitativ zurück in die Weltspitze. Das brachte satte Gewinne, die nun als ein solides Fundament für den gesamten Konzern gelten. Von dem hoch riskanten Geschäft des Halbleiter-Herstellers Infineon trennte er sich dagegen vorausschauend.

Ebenso viel Gespür zeigte er mit seinem China-Engagement. Früher und konsequenter als viele Konkurrenten etablierte sich Siemens in dem rasant wachsenden neuen Markt, wovon besonders der Bereich Kraftwerksbau profitierte. Dass sich die Chinesen trotz blendender Geschäftsbeziehungen und dem Bau einer Transrapid-Strecke bei Schanghai jüngst beim Ausbau des Eisenbahnnetzes für einen japanischen Hochgeschwindigkeitszug entschieden, gilt allerdings als bitterer und milliardenschwerer Rückschlag.

So wird Klaus Kleinfeld, der von Pierer nach dessen 64. Geburtstag im Januar als Vorstandschef beerben wird, trotz guter Ausgangsbasis viel zu tun bekommen. Neben dem nach wie vor schwächelnden Kommunikationsbereich zählen dazu kurioserweise auch jene etwa 10 bis 13 Milliarden Euro an Bargeld, über die der Konzern verfügt. Auch wenn die Übernahme des österreichischen Elektronik- und Energiekonzerns VA Tech gelingt, die rund 840 Millionen Euro kosten soll, bleibt davon noch genug übrig, um das Wachstumsprogramm auch in den USA, Asien und Osteuropa fortzusetzen.

Von Kleinfeld erwartet die Branche nicht nur in diesem Zusammenhang viel und die Belegschaft wenig Gutes: Der smarte und redegewandt auftretende 47-Jährige hat sich im Konzern längst einen Ruf als zielstrebiger und knallharter Sanierer erworben, der sich vollkommen der Rendite verpflichtet fühlt. Und nicht nur darin tritt er in die Fußstapfen des Heinrich von Pierer der letzten Jahre: Wie der CSU-Mann engagiert er sich ehrenamtlich und wird es sich nicht nehmen lassen, auch in die politische Debatte einzugreifen. Von Pierers Vorstoß zu längeren Arbeitszeiten jedenfalls hat er begeistert goutiert.