Erzwungener Bund fürs Leben

Immer noch werden viele junge Frauen mit Migrationshintergrund in Berlin gegen ihren Willen verheiratet. Wehren können sich nur wenige: Zu hoch ist der soziale und physische Druck der Familien

von SUSANNE AMANN

Lange, laute Autokorsos, hunderte von Verwandten, die hupend die Hochzeit eines Familienmitglieds feiern: ein alltägliches Bild in Bezirken wie Kreuzberg, Wedding oder Neukölln. Aber: Dass nicht immer beide Brautleute in die Hochzeit eingewilligt haben, gehört hier leider ebenfalls zum Alltag.

Rund 230 Mädchen und junge Frauen haben sich deswegen allein im letzten Jahr in die Frauenhäuser Berlins geflüchtet. Der Grund: die Angst vor einer erzwungenen Ehe. Das hat eine Umfrage des rot-roten Senats ergeben. Dabei schaffen es nur die wenigsten Frauen, sich überhaupt dem Druck von Elternhaus und familiärem Umfeld zu entziehen – die Dunkelziffer ist deshalb hoch. „Ich denke, dass das tausende von Mädchen in Berlin betrifft“, sagt Seyran Ates, Anwältin und seit Jahren mit der Thematik vertraut. Allein in ihrer Kanzlei seien 40 bis 50 Prozent der Scheidungen Zwangsheiraten vorausgegangen.

Dabei ist die gesetzliche Regelung eigentlich klar: Sowohl die allgemeine Erklärung der Menschenrechte als auch das deutsche oder etwa das türkische Gesetz verbieten die Ehe, wenn einer der Partner nicht einverstanden ist. Das aber interessiert die Eltern nicht immer: „Oft ist es eine Art Problemlösungsstrategie der Familie, die eigenen Kinder zu verheiraten – auch gegen deren Willen“, sagt Corinna Ter-Nedden von der Hilfsorganisation Papatya, die in Berlin Schutzräume für betroffene Frauen anbietet. Rund 20 bis 30 Prozent aller Mädchen, die zu ihr kommen, fürchten eine Zwangsheirat.

Oft sei es etwa der Versuch, die eigenen Töchter zu disziplinieren, die in westlichen Gesellschaften aufwachsen und sich nicht mehr in alte Traditionen fügen wollen. Aber es geht auch um Familienehre, Nachzug und Immigration: In Deutschland geborene oder aufgewachsene Mädchen werden mit Verwandten in den Herkunftsländern verheiratet, damit diese eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten.

Dabei gibt es das Phänomen der Zwangsverheiratung nicht nur unter Familien aus dem islamischen Kulturkreis. Zwar betrifft es in Berlin hauptsächlich türkische Frauen – was aber daran liegt, dass sie die größte Gruppe unter den Migranten stellen. „Zwangsheiraten sind keinem bestimmten Gesellschaftssystem zuzuordnen“, bestätigt Rahel Volz von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Die Liste der Länder reicht von Pakistan und Ägypten über Burkina Faso und Äthopien bis nach Indien und China.

Willigt ein Mädchen nicht in die Heirat mit dem von den Eltern ausgesuchten Partner ein, wird der Druck enorm hoch: Psychisch, aber oft auch mit physischer Gewalt bis hin zu Morddrohungen wird versucht, die Zustimmung zu erzwingen. Denn die Zwangsheirat wird in den Familien nicht als Unrecht wahrgenommen. Deshalb fordert Ates einen eigenen Straftatbestand. „Nur dadurch kann sich das Unrechtsbewusstsein einer Gesellschaft entwickeln“, so die Anwältin. Bisher können betroffene Frauen ihre Familienangehörigen nur wegen Vergewaltigung oder Körperverletzung anklagen – was nur ein winziger Bruchteil der Betroffenen schafft.

porträts SEITE 23