Körpervibrationen tauschen

Die Welt ist eine Kugel (8. und Schluss). In der Erinnerung ist Flippern immer am schönsten: Niemals wird es mehr sein wie damals mit „Dirty Harry“ im Graefe-Kiez

Flippern ist ein erhabenes, anmutiges Spiel. Man spielt nicht um Geld, sondern um Zeit – das Spiel geht in sich auf und aus. Die Geschicktesten flippern sogar um die Ehre, sich in die jeweiligen Bestenlisten eintragen zu dürfen: ToZ, Jo, Sab und Mad lauten ihre Initialen. Flipperspieler treten nie gegeneinander, sondern immer gegen die Maschine an. Sie stehen aufrecht, verfolgen stumm und konzentriert den Lauf der Kugel, egal was um sie herum geschieht.

Viele finden das sexy! Roland Barthes entdeckte in dem Spiel, in dem Hochschleudern und Gehorchen der Kugel wider ihre Natur, eine „Symbolik der Penetration“. Umberto Eco glaubt, dass die Spieler Körpervibrationen auf das Flippergehäuse übertragen. Das geschieht „mit dem Schambein, beziehungsweise mit einem genau kalkulierten Einsatz der Hüften, sodass das Schambein mehr gleitet als stößt und man immer diesseits des Orgasmus bleibt“.

Das ist natürlich Quatsch. Doch bei einem Stelldichein am „Tales Of The Arabian Nights“-Flipper in einer lauschigen Bar können zwischen zwei Herzen schon einmal Funken knistern. Schwerer wird’s, wenn das Gerät in einer fensterlosen Spielothek neben fahlen Gestalten steht, die ihre staatlichen Zuwendungen mechanisch in die piependen Geldspielautomaten werfen. Vierzig, Sonne, sechzig. Dütdüt-dütdüt-dütdüt.

Ich kenne bloß eine Spielothek in Berlin, in der man anständig flippern konnte: im Graefe-Kiez, direkt neben Lidl. Damals verteilte sie das Bruno Pils zu Spottpreisen und lockte mit einem der unmissverständlichsten und kompromisslosesten Flipper aller Zeiten: „Dirty Harry“. Die Spielhalle besaß zwei riesige Fensterfronten und war tagsüber so sonnendurchflutet, dass man die Fernsehbilder auf der Großbildleinwand nicht erkennen konnte. Neben dem Flipper stand ein Fotoplay-Gerät, an dem meist ein etwa dreißigjähriger Türke an einer Glücksrad-Variante Begriffe wie „Arbeitnehmersparzulage“ oder „Pflegepauschbetrag“ aufzulösen versuchte. Durchaus erfolgreich, denn sämtliche Highscore-Plätze wurden von scherenschnittartigen, mit der integrierten Kamera aufgenommenen Phantombildern des Türken belegt, der sich „Baron de Grimbaldino“ nannte.

Doch eines Tages versiegte der Bruno-Bierstrahl, dann verschwand der Flipper, weshalb ich seither Flipperstandorte in der Nähe aufsuche. Es sind wenige, aber anderswo hätte ich wohl keine gefunden, etwa in Reinickendorf. Die Fläche Reinickendorfs besteht zu vierzig Prozent aus Friedhöfen. Ungefähr. Die meisten Gebäude am Kutschi (Kurt-Schumacher-Platz) sind 60er-Jahre-Zweckbetonbauten. Das Einkaufscenter „Der Clou“ beherbergt eine Adler-Filiale, deren frühere Radioreklame („Adler, Adler, Adler! Billig, billig, billig!“) noch vielen Westberlinern bedrohlich im Ohr klingt. Der Kutschi liegt genau in der Einflugschneise des Flughafen Tegel, beherbergt das Hotel Bärlin – ein idealer Ort, um ungebetene Berlinbesucher (Verwandte, Urlaubsbekanntschaften) abzuschieben – und ein Bürohaus mit der rätselhaften Neonleuchtreklamenaufschrift „CFW STAAMANN“.

Für Flippersucher gibt es in dieser Gegend nur eine einzige Anlaufstelle: Snoopool. Ein in dunkles Holz geschaltes Billardsportcenter, das seinen Turnhallencharme aber nicht verbergen kann. Okay, der „Addams Family“-Flipper ist gut in Schuss, und wer zwischen 16 und 19 Uhr drei große Pils trinkt, mus nur zwei bezahlen. Doch selbst die reichen nicht aus, um sich diesen Ort schönzutrinken. Also weiter!

MARC DEGENS

Flipper: „The Addams Family“ von Bally, Standort: Snoopool, Billard-Sport-Center, Von-der-Gablentz-Str. 3, Berlin-Reinickendorf