Trauerzüge in türkischen Städten

Mehrere tausend Menschen folgen einem Aufruf der Gewerkschaften und protesieren gegen den Terror und gegen die USA. Die Islamisten fehlen. Regierungschef Erdogan bestätigt: Auch die Attentäter vom Donnerstag sind türkische Staatsbürger

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

„Wir sind hier aus Trauer um die Toten und um den Angehörigen unser Mitgefühl auszudrücken. Wir sind aber auch hier, um Demokratie und Freiheit zu verteidigen, sowohl gegen islamische Fundamentalisten wie gegen die selbst ernannten Terrorbekämpfer aus Washington.“ Der Sprecher des Gewerkschaftsbündnisses, das am Samstag zu landesweiten Demonstrationen gegen den Terror aufgerufen hat, macht keinen Hehl aus seiner Ablehnung des US-Krieges im Irak. „Wir stehen weder auf Seiten der Terroristen noch auf Seiten der Bush-Regierung.“

Gut 5.000 Menschen waren dem Aufruf der Gewerkschaften am Samstag in Istanbul gefolgt und in einem Sternmarsch zum Taksim-Platz, dem zentralen Platz unweit des zerstörten britischen Konsulats, gefolgt. Auch in Ankara und Izmir fanden ähnliche Trauerzüge statt. Die Menge war bunt gemischt. Von bürgerlichen Kreisen, darunter Parlamentsabgeordnete der oppositionellen CHP, über Gewerkschaftsmitglieder bis hin zur Türkischen Kommunisten Partei, die sich besonders lautstark mit der Verurteilung der USA hervortat, war alles vertreten. Bis auf die Religiösen. Weit und breit war kein Kopftuch zu sehen, ein Indiz, wie verunsichert die Islamisten über die Terroranschläge in Istanbul sind.

Auch in ihren Publikationen kommt diese Verunsicherung zum Ausdruck. Kein echter Muslim könne so etwas getan haben, wird immer wieder betont. Die islamische Tageszeitung Vakit versucht verzweifelt, die Verantwortung auf CIA und Mossad abzuschieben, die wieder einmal hinter den Attentaten stecken sollen.

Unterdessen hat Ministerpräsident Erdogan bei der Trauerfeier für zwei vor dem Britischen Konsulat getöteten Polizisten bekannt gegeben, dass auch die Selbstmordattentäter von Donnerstag türkische Staatsbürger waren. Nachdem am Freitag noch drei Schwerverletzte im Krankenhaus gestorben sind, ist die Anzahl der Toten bei den insgesamt vier Attentaten in der letzten Woche auf 55 Menschen gestiegen, darunter vier Briten.

Bei der Trauerfeier für die Polizisten machte der Istanbuler Polizeipräsident Celalettin Cerrah seinem Frust über die Kritik an der Arbeit der Polizei Luft. „Diese Toten“, behauptete er, „würden nicht hier liegen, wenn die Presse mehr Verantwortung gezeigt hätte.“ Cerrah warf den Zeitungen vor, durch die frühzeitige Veröffentlichung der Namen der Synagogen-Attentäter und ihrer mutmaßlichen Komplizen die Täter der weiteren Anschläge gewarnt zu haben. „Wir waren dicht hinter ihnen her, aber sie konnten uns entkommen, weil sie gewarnt wurden.“ Die Selbstmordattentäter vom Donnerstag kommen aus dem gleichen Umfeld wie die vom vorletzten Samstag. Alle sind Mitglieder extremer fundamentalistischer Gruppen aus dem Südosten der Türkei. Während des Treffens des Nationalen Sicherheitsrats Ende letzter Woche präsentierte der Geheimdienst Erkenntnisse über die Auslandskontakte der Täter. Sie sollen in Afghanistan, Pakistan und Tschetschenien gewesen sein. Bislang hat die Polizei 18 Personen festgenommen, denen sie Beihilfe zu den Attentaten vorwirft.